Prof. Kai Ambos (Verfassungsblog) bei Markus Lanz am 3.4.2024
Sehr geehrter Prof. Ambos,
ich finde, Sie haben gestern eine sehr konstruktive Rolle eingenommen in dem Sie u.a. deutlich machten, dass das Völkerrecht nicht eine Angelegenheit für weltfremde Bleistiftspitzer ist. Prof. Wolffsohn, der in mit Leichtgewichten besetzten Talk-Show-Runden zu ganz großer Form aufzulaufen pflegt, war auffallend zurückhaltend und argumentativ hilflos, weil Sie klar machten, dass diese Talkrunde ausnahmsweise mal kein Heimspiel für ihn sein wird.
Gestatten Sie dennoch einige Anmerkungen:
In der Debatte gestern hat niemand zum Ausdruck gebracht, dass es für Israel im Gazakrieg nicht nur um die Vernichtung der Hamas geht, sondern auch um ethnische Vertreibung. Das wird ganz offen ausgesprochen von Kabinettsmitgliedern. Es gibt der Öffentlichkeit zugängliche Regierungspläne aus denen dies hervorgeht.
Die Art und Weise der Kriegsführung Israels wird unter Einbeziehung dieses Motivs verständlicher: Es geht dann nämlich darum Gaza zu einem unbewohnbaren Landstrich zu machen.
Zur Art und Weise der Kriegsführung haben Sie zwar diese vergleichende Statistik zu zivilen Opfern pro Bombenangriff angeführt: Etwas weniger als zwei zivile Opfer je Bombenangriff bei den Amerikanern in Syrien vs. über 50 Opfer im Gaza. Ansonsten haben Sie aber ein Bild von der IDF gezeichnet, als einer ganz normalen Armee, der es darum geht, zivile Opfer zu vermeiden.
Dabei wird ausgeblendet, dass die israelische Militärdoktrin „Dahiya-Doktrin“ schon auf der konzeptionellen Ebene den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer Kraft setzt. Richard Falk spricht in diesem Zusammenhang von Staatsterrorismus. Der Erfinder dieser Doktrin Gadi Eisenkot ist derzeit Mitglied des Kriegskabinett. Die Militärdoktrin, benannt nach dem Beiruter Stadtteil Dahiya, den Israel während des Krieges von 2006 angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht hat, besagt nach Eisenkot:
„Was 2006 im Beiruter Stadtteil Dahiya geschah, wird in jedem Dorf passieren, von dem aus Israel beschossen wird (…) Wir werden unverhältnismäßige Gewalt gegen [das Dorf] anwenden und dort großen Schaden und Zerstörung anrichten. Aus unserer Sicht handelt es sich nicht um zivile Dörfer, sondern um Militärbasen.“
Die von Ihnen angeführte Statistik, wäre erklärungsrelevanter, wenn Sie sie in diesen Kontext gestellt hätten.
Das der Dahiya-Doktrin zugrunde liegende Motiv durch Terror gegen die Zivlilbevölkerung Druck auf den jeweiligen militärischen Kontrahenten auszuüben, kommt auch in der seit 1992 praktizierten Blockade-Politik Israels gegenüber Gaza zum Ausdruck. Die Politik der „Gaza-Diät“, also eine Versorgung der Gaza-Bevölkerung knapp oberhalb eines Hunger-Niveaus wird eindrucksvoll beschrieben in einer Mitteilung von US-Diplomaten an das State Department am 3.11.2008:
„Israeli officials have confirmed to Embassy officials on multiple occasions that they intend to keep the Gazan economy functioning at the lowest level possible consistent with avoiding a humanitarian crisis.”
All dies steht doch in fundamentalen Widerspruch zu dem Bild zu Israels grundsätzlicher Haltung, das auch Sie – von den anderen beiden Herrn in der Runde erst gar nicht zu reden – gezeichnet haben, als wäre Israel ein Staat der sich wenigstens der Intention nach an den Normen des Kriegsrechts orientiert.
In diesen Kontext gehört auch, dass in Israel Aufwiegelung zum Völkermord straflos stattfindet. Der entsprechenden Maßnahme des IGH hat auch Aharon Barak, der israelische Ad-Hoc-Richter beim IGH zugestimmt.
Es tut mir leid, aber Ihre Analyse kommt insofern uninformiert, weltfremd und provinziell daher. Ich fürchte das dies auch Konsequenzen hat für juristische Befunde.
Freundliche Grüße
Helmut Suttor