Kauft nicht bei Juden


Mit Verweis auf die „dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte“ werden Boykottaufrufe von BDS werden gern mit dem vom NS-Regime 1933 initiierten Boykott gegen jüdische Geschäfte in Deutschland parallelisiert oder gleichgesetzt. „‚Don’t Buy‘-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten wecken unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole ‚Kauft nicht bei Juden!‘ und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern“ – so im Bundestagsbeschluss

Es ist verständlich, dass angesichts der gegen Israel gerichteten Boykottaufrufe auch Erinnerungen an Boykotte jüdischer Geschäfte in Deutschland nach 1933 aufgerufen werden. Das gilt insbesondere für traumatisierte Menschen, die Angehörige im Holocaust verloren haben. Assoziationen sind häufig der Anfang eines Denkprozesses und nicht dessen Ende. Von Erwachsenen sollte man erwarten, dass sie nicht bei Assoziationen oder „Analogien“ stehen bleiben, sondern eine faktenbasierte Denkanstrengung unternehmen unter Berücksichtigung historischer Kontexte. Dann erschließt sich unschwer: Der Boykott gegen einen ökonomisch und militärisch durchaus potenten Staat ist eine Sache. Der Boykott gegen wehrlose und entrechtete Geschäftsleute in der NS-Diktatur ist etwas ganz anderes. Abgesehen davon: BDS wird von vielen Juden in aller Welt unterstützt.

Die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz Friesel schreibt 2020, BDS stehe „in der Tradition des Nazi-Slogans ‚Wehrt euch, kauft nicht bei Juden‘.[1] Sie stellt diesen Bezug zwischen BDS und dem NS-Slogan in ihrem Buch mehrfach in dieser Weise her, ohne irgendeine historische Kontextualisierung. Sieben Jahre vorher, in einem 2013 veröffentlichten Buch formuliert sie einen Anspruch der mit dieser Vorgehensweise schwerlich in Einklang zu bringen sein dürfte: „Wir verbinden geschichtswissenschaftliche  Reflexion  und  sprachwissenschaftliche Textanalyse, um  das  Phänomen der  Judenfeindschaft eingehend, in seinem  historischen Kontext so präzise  wie möglich  in all seinen  Ausprägungsvarianten zu erfassen“. [2]

Vergleichbares gilt für Samuel Salzborn, der ebenfalls auf historische Kontextualisierung verzichtet: „Die generelle NS-Analogie der Kampagne besteht überdies darin, dass sie die Nazi-Parole  ‚Kauft nicht bei Juden‘ reaktiviert und auf Israel überträgt, wobei  zahlreiche BDS-Aktivisten ihre Forderungen in fast identischer optischer Initiierung z.B. in Deutschland vor Geschäften zum Ausdruck bringen, in denen israelische Produkte verkauft werden.“ [3]

Was bei den Analysen dieser Sorte Antisemitismusforschung generell unter den Tisch fällt: Die Menschenrechtslage der Palästinenser, der Versuch vor diesem Hintergrund die Frage zu beantworten welche politische Handlungsoptionen diesen jenseits bewaffneten Widerstands denn blieben, würden sie darauf verzichten Druck gegen den Staat Israel aufzubauen. Bei Licht besehen handelt es sich um Ansichten von Unpolitischen, die eine Israelsolidarität pflegen, wie weiland die deutsche Linke Solidarität mit der sog. Dritten Welt übte: Autistisch und unpolitisch auf das eigene Identifikationsobjekt fixiert, in Treue fest auch dann noch, wenn die früheren Befreiungsbewegungen, einmal an der Macht, zunehmend diktatorische und despotische Züge ausbildeten. 

Wollte man die methodischen Werkzeuge dieser Antisemitismusforschung auf sie selbst anwenden, ergibt sich palästinenserbezogener Rassismus als naheliegende Schlussfolgerung. Die implizite politische Annahme dieser „Wissenschaft“ besteht schließlich darin, dass den Palästinensern nach Jahrzehnten der Verweigerung elementarer Menschen- und Bürgerrechte zugemutet wird, sich mit diesem Zustand auf nicht absehbare Zeit freiwillig abzufinden.

Der israelische Historiker Tom Segev formuliert:

 „Wenn Sie es ablehnen, etwas zu kaufen von einer Farm, die Teil einer systematischen Verletzung von Menschenrechten ist, dann sind Sie nicht nahe bei Antisemiten, die ‚Kauft nicht bei Juden‘ sagen[4]

Das dauerhafte Verharren bei Primär-Assoziationen und die Verweigerung einer ernsthaften Kontextualisierung ist eher Ausdruck einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Um den Unterschied zu erkennen, ob rechtlose jüdische Geschäftsleute boykottiert werden oder der mächtigste Staat in Nahost, der seit Jahrzehnten die Menschenrechte jener verletzt, die höchst begrenzte Handlungsspielräume zur Gegenwehr friedlich nutzen, dazu muss man kein Nahostexperte sein. Es reicht aus, ein erwachsener Mensch mit durchschnittlichem Denkvermögen und echtem Erkenntnisinteresse zu sein.

Dieses Erkenntnisinteresse lag bei den Befürwortern der Bundestagsresolution offensichtlich nicht vor. Eine belastbare Begründung, dafür, dass „Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung antisemitisch sind “ kann der Verweis auf Assoziationen allein nicht liefern. 


[1] Monika Schwarz-Friesel: Judenhass im Internet : Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, 2020, S. 85/FN 63

[2] Monika Schwarz-Friesel: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert , 2013, S. 4

[3] Samuel Salzborn: Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung, http://www.salzborn.de/txt/2013_Kirche-und-Israel.pdf

[4] https://www.jpdg.de/meldungen/2017/7/2/warum-ist-bds-nicht-antisemitisch