Uwe Becker: Das Schutzschild-Argument als Legitimationsfassade für Kriegsverbrechen


Den folgenden Text zum Schutz-Schildargument als Legitimationsfassade für Kriegsverbrechen habe ich in Teilen (bis Punkt 4.) auf Beckers Facebook-Seite veröffentlicht.  

Herr Becker bleibt sich treu. Seit Jahren betätigt er sich als populistischer Propagandist israelischer Regierungspolitik im Widerspruch zu unserer Verfassung und der offiziellen deutschen Regierungspolitik. Selbst angesichts bevorstehender Haftbefehle gegen israelische Politiker wegen Kriegsverbrechen und einer möglichen Verurteilung Israels wegen Völkermordes verteidigt er die israelische Kriegsführung. Becker erfüllt nicht die Minimalvoraussetzungen für ein öffentliches Amt, da er nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.

Das Schutzschild-Argument als pauschale Rechtfertigung für die israelische Kriegsführung ist eine Legitimationsfassade, die wesentliche Fakten ausblendet:

1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf zivile „Kollateralschäden“ wird in Israel bereits auf der Ebene der Militärdoktrin in expliziter Form ignoriert. Diese 2008 im Krieg gegen die Hizbullah erstmals formulierte Dahiya-Doktrin (Dahiya ist ein Stadtteil von Beirut der von der israelischen Luftwaffe dem Erdboden gleichgemacht wurde) wurde von ihrem Erfinder General Gadi Eisenkot wie folgt beschrieben:

Wir werden mit unverhältnismäßiger Gewalt vorgehen und dort großen Schaden und Zerstörung anrichten. Aus unserer Sicht handelt es sich nicht um zivile Dörfer, sondern um Militärstützpunkte.“

Es mag Länder geben, die sich in der praktischen Kriegsführung ähnlich verhalten. Staatsterrorismus als Absicht, formuliert auf der Ebene militärischer Grundsätze, dürfte jedoch ein Alleinstellungsmerkmal Israels sein. Eisenkot, obwohl als General pensioniert, ist Mitglied des israelischen Kriegskabinetts. Es geht ausdrücklich nicht um einzelne zivile Ziele, die als Schutzschilder missbraucht werden, sondern es geht um „zivile Dörfer“, die zu „Militärstützpunkten“ erklärt werden um eine Legitimationsfassade für „unverhältnismäßige Gewalt“ zu konstruieren.


2. Dass Eisenkots Aussagen keine leeren Worte blieben, zeigt die Praxis der israelischen Kriegsführung in Gaza. Wenn 1000-kg-Bomben mit einem Explosionsradius von 360 m eingesetzt und dabei bewusst 100 und mehr zivile Opfer in Kauf genommen werden, dann hat das nichts mehr mit irgendeiner Verhältnismäßigkeit zu tun. Dann liegt nach triftiger Indizienlage ein Kriegsverbrechen vor.


3. Das Kriegsziel der Israelis ist nicht nur die Zerstörung der Hamas, sondern die ethnische Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen. Auch dies wurde wiederholt klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, beispielsweise durch Avi Dichter, ebenfalls Mitglied des Kriegskabinetts („Gaza Nakba 2023. So wird es enden“). Aktuell manifestiert sich dies in der systematischen Bombardierung, die Gaza unbewohnbar macht.


4. Das Schutzschild-Argument ist inbesondere auch vor dem Hintergrund der Praxis KI-gestützter Kriegsführung weltfremd. Kriegsziele werden durch Algorithmen errechnet. Ob ein Hamasmitglied im Visier der Luftwaffe und Drohnen ist oder nicht, ist Ergebnis einer wahrscheinlichkeitstheoretischen Berechnung. Die Software zur Identifizierung militärischer Ziele „Levander“, die in den ersten Kriegsmonaten zum Einsatz kam, wurde aufgrund einer zu hohen Fehlerquote (10 %) außer Dienst gestellt. Die Entscheider am Bildschirm zu Steuerung von Drohnen müssen in einem Zeitraum von 20 Sekunden den Daumen heben oder senken.

5. Begünstigt wird die Kriegsführung Israels ohne Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit und Kollateralschäden unter der palästinensischen Zivilbevölkerung weil es in Israel kein Rechtssystem gibt, in dem diese Verbrechen verfolgt werden. In den gegenwärtig laufenden Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH / ICJ – Völkermordklage Südafrikas) und dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH / ICC – Haftanträge gegen Netanyahu und Galant) kommt dies dadurch zum Ausdruck, dass diese Gremien internationaler Gerichtsbarkeit die Verfahren an sich gezogen haben, weil sie dem Staat Israel keine ernsthafte Strafverfolgung zutrauen (Komplementaritätsklausel).

Das Problem ist nicht neu. Im Gaza-Krieg 2009, am ersten Tag der Operation „Gegossenes Blei“ kam es zu einer Kontroverse (S. 6) zwischen der Rechtsaufsicht innerhalb der Israelischen Armee (Abteilung für internationales Recht (ILD) im Büro des Militärgeneralanwalts) und dem Militärgeheimdienst. Die ILD-Vertreter erhoben den Vorwurf, man stelle das Recht in den Dienst des Krieges. Der rechtliche Einspruch ILD Vertreter gegen die Bombardierung einer Polizeischule in Gaza wurde abgewehrt. Daniel Reisner, 2005 Chef des ILD, beschrieb die Praxis israelischer, militärischer Rechtsaufsicht bis 2009 wie folgt:

Wir haben eine Politik verteidigt „die sich am Rande des Erlaubten bewegt. In diesem Sinne ist die ILD ein Gremium, das Maßnahmen einschränkt, aber nicht verhindert (…) Was wir jetzt erleben, ist eine Revision des Völkerrechts … Wenn man etwas lange genug tut, wird es von der Welt akzeptiert. Das gesamte Völkerrecht basiert jetzt auf der Vorstellung, dass eine Handlung, die heute verboten ist, zulässig wird, wenn sie von genügend Ländern ausgeführt wird … Das Völkerrecht entwickelt sich durch Verstöße weiter. Wir haben die These von der gezielten Tötung erfunden und mussten sie vorantreiben. Anfangs gab es Vorbehalte, die es schwierig machten, sie einfach in die rechtlichen Formen zu gießen. Acht Jahre später steht sie im Zentrum der Grenzen der Legitimität.“

Die Verantwortlichen in Israel mögen der Ansicht sein, die Praxis ihrer Kriegsführung lasse ich gewohnheitsrechtlich in diesem Sinne „weiterentwickeln“, bis ins „Zentrum der Grenzen der Legitimität“ rückt, was früher als Kriegsverbrechen und Völkermord gegolten hat

Der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof sehen das vorläufig noch anders.


Uwe Becker meint im Zeitalter einer globalisierten Öffentlichkeit die Leute für dumm verkaufen zu können. Der sektiererische Charakter seiner Positionen wird immer offensichtlicher. Allmählich sollte die CDU und die hessische Landesregierung der Überlegung nähertreten, ob ein Staatssekretär und Antisemitismusbeauftragter, der in Treue fest an der Seite der israelischen Regierung einherschreitet – Kriegsverbrechen hin, Völkermord her – noch tragbar ist.

Becker ist nicht nur untragbar als Antisemitismusbeauftragter, er ist untragbar für jedes öffentliche Amt, weil er nicht auf dem Boden der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung steht.


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