Uwe Becker als populistischer Propagandist israelischer Regierungspolitik


Inhalt

Becker betätigt sich unverhohlen als Propagandist der israelischen Regierungspolitik im Widerspruch zur offiziellen deutschen Nahostpolitik, dem Grundgesetz und Völkerrecht. Fakten und Logik geraten dabei mitunter in grotesker Weise unter die Räder. 

Zweistaaten-Regelung und Trump-Plan:

Becker hat in einer Stellungnahme als DIG-Präsident den sog. Trump-Plan befürwortet. Dieser sah die De-Jure-Annexion von 30 % der Westbank durch Israel vor. Die in diesem Gebiet lebenden Palästinenser sollten dabei nicht die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte erhalten, wie israelische Palästinenser.

Dennoch behauptete Becker, der Trump-Plan stimme mit dem „Grundprinzip der Zwei-Staaten-Lösung“ überein. [1]

Das steht nicht nur in groteskem Widerspruch zum Völkerrecht, damit auch zum Grundgesetz und natürlich zur Position der Bundesregierung und der großen Mehrheit der internationalen Staatenwelt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ergeben sich folgende Unterschiede dieses Plans zu einer Zweistaaten-Lösung wie sie bisher Gegenstand von sog. Nahost-Friedens-Verhandlungen war:

  • Die Zwei-Staaten-Lösung war bisher nur als Verhandlungslösung zwischen den Konfliktparteien denkbar. Die Palästinenser waren an dem zwischen USA und Israel ausgehandelten Trump-Plan nicht beteiligt, obwohl es völkerrechtlich um ihr Land ging.
  • Die Zwei-Staaten-Lösung sah bisher einen lebensfähigen palästinensischen Staat vor. Dass der Trump-Plan dies gewährleisten konnte, behauptet nicht einmal Uwe Becker.
  • Die Zwei-Staaten-Lösung ging bisher von einem äquivalenten Gebietsaustausch aus. Der Trump-Plan beinhaltet die Annexion „von rund dreißig Prozent des Westjordanlands„.
  • Die Zweistaaten-Lösung sah Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines Palästinenser-Staates vor. Der Trump-Plan sieht einige Dörfer im „Osten Jerusalems“ als Hauptstadt vor, wie Herr Becker das formuliert. Das klingt zwar fast wie Ost-Jerusalem ist aber doch etwas ganz anderes.
  • In einem Interview Ende Mai 2020 erklärte Premierminister Netanjahu, dass die Palästinenser keine Staatsbürgerschaft erhalten und in Enklaven bleiben werden, die von Israel militärisch kontrolliert werden.
  • Bürgermeister Beckers „Bewertung“ enthält auch diesen Satz: „Die Vorschläge reichen erkennbar über die heutigen völkerrechtlichen Festlegungen hinaus.“ Er schließt mit der Empfehlung, diesen „Vorschlägen“ eine „faire Chance in weiteren Verhandlungen zu gegeben„. Angenommen, der SPD-Politiker Matthias Platzeck hätte als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums die Annexion der Krim oder gar den Überfall auf die Ukraine so kommentiert: „Die Vorschläge von Präsident Putin reichen erkennbar über die heutigen völkerrechtlichen Festlegungen hinaus, ich empfehle dennoch diesen Vorschlägen eine faire Chance zu geben.“ Hätte man diese offene Legitimation eines Völkerrechtsbruchs ebenso kommentarlos hingenommen?

Bei unterschiedlichen Gelegenheiten sprach sich Becker für die Annexion Ostjerusalems aus.   Anlässlich einer Veranstaltung des Jüdischen Nationalfonds am 7. Juni 2017 in Frankfurt unter dem Motto „50 Jahre wiedervereinigtes Jerusalem“ äußerte Becker, aus seiner Sicht sei Jerusalem ganz klar die Hauptstadt Israels: [2]Eine Zweistaatenlösung ist die Grundposition, die auch ich teile. (…) Ich denke, dass auch die Weltgemeinschaft dies (d.h. das ungeteilte Jerusalem ist Hauptstadt Israels) über kurz oder lang akzeptieren muss.“

Zwei Jahre später, inzwischen Hessischer Antisemitismusbeauftragter, präsentierte Becker seine ganz persönliche „Hauptstadt-Theorie“. [3]

Ich habe da eine sehr persönliche Auffassung, die ich vertrete, allerdings weder in meiner Rolle als Antisemitismusbeauftragter noch als Bürgermeister in Frankfurt. Meine Auffassung ist, dass eine Stadt, in der die Regierung sitzt, in der der Präsident sitzt, in der das Parlament sitzt, auch die legitime Hauptstadt eines Staates ist. Aus dieser Sicht glaube ich, dass es legitim ist, Jerusalem als Hauptstadt Israels zu sehen, und hoffe, dass das auf längere Sicht auch in der Staatengemeinschaft Anerkennung findet.

Regierung, Präsident und Parlament Israels haben ihren Sitz in Westjerusalem. Wieso Westjerusalem als Hauptstadt Israels nach Beckers Hauptstadt-Theorie nicht ausreichen soll, bleibt unerfindlich. Alle von Becker genannten Kriterien treffen auf Westjerusalem zu. Beckers „Argumente“ stehen ohne inneren Zusammenhang nebeneinander. Was er politisch vermitteln will, aber sachlich nicht begründen kann, ist klar: Ganz Jerusalem, also unter Einschluss des Ost-Jerusalems, soll als legitime Hauptstadt Israels gelten. Für die Palästinenser sind als „Hauptstadt eines Staates“ ein paar Dörfer am Rande Ost-Jerusalems ausreichend. Offensichtlich gelten für Beckers Hauptstadt-Theorie doppelte Standards – insofern kann man von „palästinenserbezogenen Rassismus“ sprechen, jedenfalls nach der Logik, die bei „israelbezogenem Antisemitismus“ Anwendung findet.

Becker begründet seine Position nicht mit Recht. Er setzt nicht auf Normen, sondern auf die normative Kraft des Faktischen i.S. der Fähigkeit Israels durch Macht und Gewalt Fakten gemäß eigener Interessenlage zu setzen. Dieser Gedanke taucht als rhetorische Figur bei Becker häufiger auf: Ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels wird die Anerkennung der Staatengemeinschaft finden, nach „meiner persönlichen Meinung“ hat „die Geschichte gezeigt, dass die Golanhöhen zu Israel gehören und die Weltgemeinschaft wird das akzeptieren müssen“, [4] der Trump-Plan reiche „erkennbar über die heutigen völkerrechtlichen Festlegungen hinaus“. Becker präsentiert sich als Realist ohne normative Orientierung, der tiefer blickt als die aktuelle deutsche Nahostpolitik, der nur konstatiert, was in der Gegenwart schon im Vollzug begriffen ist, aber noch nicht zu Ende gebracht werden konnte. Nach dieser Logik könnte man die Ost-Ukraine Russland zusprechen, vielleicht auch die Ukraine insgesamt, wenn „die Geschichte“ dies zeigt.      

Ethnische Vertreibung/Säuberung

Der gelernte Bankkaufmann hat auch eigene Theorien in anderen Bereichen des Völkerrechts, z.B. wenn es um ethnische Vertreibung geht.[5] Amnesty International (AI) publizierte 2019 eine Studie zum Tourismus in den besetzten Gebieten, die Beckers Widerspruch erregte. [6]

Der AI-Text enthält (S. 84 ff) Empfehlungen an Regierungen. Zunächst wird in allgemeiner Form festgestellt, was von der deutschen Bundesregierung, in zahlreichen Dokumenten anderer Regierungen und der UNO ebenfalls zu lesen ist: Die Siedlungspolitik verstoße gegen Völkerrecht, sie sei deswegen einzustellen, die Siedlungen abzubauen und die Siedler nach Israel zu verlegen.[7] Zum Thema Tourismus in den besetzten Gebieten wird gefordert die Aktivitäten von insgesamt vier Tourismusunternehmen zu unterbinden, die über digitale Internetplattformen Urlaubsangebote zu den besetzten Gebieten vertreiben. Begründung: Die Bewerbung von völkerrechtlich illegalen Siedlungen als touristisches Ziel wirke in der Öffentlichkeit als Legitimation und Normalisierung eines völkerrechtlich illegalen Zustands – so Amnesty.

Dazu Becker:

Dass Amnesty International sich nicht nur an Boykottaufrufen gegenüber Israel beteiligt, sondern unverhohlen zu ethnischen Säuberungen im Nahen Osten und damit zur Vertreibung von Jüdinnen und Juden aufruft, ist ein schockierender Skandal (…). Mit ihrer Boykottforderung trete Amnesty in die Fußstapfen der antisemitischen BDS-Bewegung. Diese zielt darauf ab, Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren, damit es die Besatzung von arabischem Land beendet (…) Die sogar noch weitergehende Forderung nach der Vertreibung von Jüdinnen und Juden muss Amnesty umgehend zurücknehmen‘“. [8] 

Von „ethnischen Säuberungen“ zu sprechen, wenn die Rückführung der Siedler von der palästinensischen Westbank gefordert wird, ist bekannt als Teil israelischer Regierungspropaganda, aber nicht als ernsthafter Beitrag zur völkerrechtlichen Debatte über ethnische Vertreibung. Netanyahu äußerte 2016: „Die palästinensische Führerschaft fordert tatsächlich einen palästinensischen Staat mit der Vorbedingung: Keine Juden. Dafür gibt es einen Ausdruck: Das wird ethnische Säuberung genannt“. [9]

Die Rede Netanyahus war – so der amerikanischer Politologe, Historiker und Berater republikanisch geführter US-Regierungen Adam Garfinkle,[10] –  primär innenpolitisch motivierte Rhetorik, gerichtet an die Siedlervertreter im israelischen Kabinett. Dass ein deutscher Antisemitismusbeauftragter dies drei Jahre später ernsthaft aufgreifen könnte, wäre vermutlich auch dem israelischen Ministerpräsidenten nicht in den Sinn gekommen.

UN-Generalsekräter Ban Ki-Moon wies die Einlassung Netajahus 2016 als „empörend“ zurück.[11] Die Aussage die Palästinenser forderten ein „judenfreies“ Samaria und Judäa stellt im Übrigen ein plumpen Nazivergleich i.S. einer Gleichsetzung dar, worauf Garfinkle hinweisst: Die Palästinensische Führung habe deutlich gemacht, „dass Juden Bürger eines zukünftigen palästinensischen Staates sein können“.

Becker und die Freiheitlich demokratische Grundordnung

Bei Uwe Becker lassen sich Rechts- und Verfassungsbrüche auf verschiedenen Ebenen belegen.

Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird in Art. 18 und Art. 21 GG erwähnt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG / Rn 531) hat diesem Begriff acht Elemente zugeordnet. Im hier relevanten Kontext geht es vor allem um die Punkte „Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten“ und „die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“.

Art. 25 Satz 1 GG stellt das Verhältnis von Bundesrecht zu Völkerrecht klar. Er besagt, „die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“.

Äußerungsbefugnis von Amtsträgern und Demokratiegebot

Als rechtlich allgemein geklärt gilt, Amtsträger haben im Rahmen ihrer Äußerungsbefugnis in amtlicher Funktion keine Meinungsfreiheit. Sie sind „grundrechtsgebunden“ aber nicht „grundrechtsberechtigt“. Sie haben sich einer gewissen Sachlichkeit und Objektivität zu befleißigen und dürfen nicht wie Hinz und Kunz öffentlich herumschwadronieren ohne Sach- und Faktenbezug. Das ist nach kurzer Überlegung auch unmittelbar einsichtig: Der Staat darf sein Prestige im zivilgesellschaftlichen Meinungsstreit nicht zu Gunsten einer Partei in die Waagschale werfen. Er sollte außerdem zur Versachlichung des öffentlichen Diskurses beitragen.

Becker hat als Bürgermeister und Dezernent der Stadt Frankfurt im Namen des Magistrats auf dessen offiziellem Stadtportal am 11.10.2019 eine Presse-Erklärung platziert, die sich gegen die deutsch-israelischen Publizistin Judith Bernstein richtete. Das Frankfurter Verwaltungsgericht (VG) ordnete Beckers Äußerung in einem Urteil am 4.5.2023 wie folgt ein.

Der Beklagte erwecke „insgesamt den Eindruck (…) dass auch die Klägerin antisemitisch sei und eine sachliche Diskussion mit ihr deshalb unterbunden werden müsse“. „Amtswalter“, so das VG-Urteil (ein Urteil Bundesverwaltungsgericht zitierend), dürften „andere Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren“, haben sich „an dem Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses auszurichten“, dürften die „Ebene argumentativer Auseinandersetzung nicht verlassen (…) nur so kann die Integrationsfunktion des Staates sichergestellt werden“.  Beckers PE verstoße „insgesamt gegen das Sachlichkeitsgebot“, da sie die Ebene des sachlichen Diskurses verlassen hat (Hervorhebung durch den Verf).

Die Rechtsprechung zum Demokratiegebot im Anschluss an Art. 20 GG beschreibt die „Willensbildung des Volkes“ als einen der Demokratie als Staatsform der Volksherrschaft analogen Vorgang mit, in höchstrichterlichen Urteilen immer wiederkehrenden, Redewendungen, wie hier in einem Urteil des BVerwG:    

Die freie Bildung der öffentlichen Meinung ist Ausdruck des demokratischen Staatswesens (Art. 20 Abs. 1 GG), in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollzieht. Der Willensbildungsprozess im demokratischen Gemeinwesen muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen (…) Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verwehrt. (…) Art. 5 GG garantiert die freie Bildung der öffentlichen Meinung und will den Kommunikationsprozess im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sichern (…) Damit ist eine lenkende Einflussnahme des Staates unvereinbar (Rn 28 / Hervorhebung durch den Verf.)

Bezogen auf die Anti-BDS-Beschlüsse ergibt sich hieraus nach meiner Meinung: Diese Beschlüsse widersprechen nicht nur der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern auch dem Demokratiegebot. Im Urteil des (BVerwG) vom 20.1.2022, das die kommunalen Anti-BDS-Beschlüsse insgesamt als verfassungswidrig einordnete, taucht dieses Thema nicht auf,  vermutlich, weil es von der Klägerseite zunächst nicht, und dann zu spät in das Verfahren eingebracht wurde.

Eine „lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung“ ergibt sich schon daraus, dass BDS weitgehend unbekannt ist – auch nach inzwischen sechs Jahren staatlich gelenkter Kampagne hat sich daran nichts geändert. Die BDS-Kampagne erfüllt so gut wie alle Kriterien, die nach den Vorgaben des Demokratiegebots staatlichem Kommunikationshandeln verwehrt sein sollte.

Die politischen Folgen für den „Willensbildungsprozess im demokratischen Gemeinwesen“ sind gravierend:

Ein demokratische, zivilgesellschaftliche Debattenkultur setzt Meinungsfreiheit, also gleiches Rederecht im öffentlichen Diskurs für alle voraus. Es gibt keine Meinungsfreiheit erster und zweiter Klasse. Wer für Streitkultur eintritt und gleichzeitig Einschränkungen der Meinungsfreiheit ignoriert, ist nicht glaubwürdig.  

Ein starker zivilgesellschaftlicher Diskurs wird beeinträchtigt oder verhindert, wenn der Staat permanent auf der Ebene zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung zugunsten einer Partei in dieser Auseinandersetzung interveniert. Unser GG hat als Leitbild den mündigen Bürger und nicht den Deutschen Michel, der reflexhaft abnickt, was vom Staat kommt. Das GG, so das BVerfG „vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.“ [12]

Wenn die im GG vorgesehene Rollenverteilung zwischen Staat und Zivilgesellschaft im Hinblick auf die demokratische Willensbildung des Volkes dauerhaft verletzt wird, werden alle Teile der Zivilgesellschaft geschwächt, d. h. auch jene, die sich auf staatliche Intervention und Unterstützung eingestellt haben. Wem dauernd vom Staat in der öffentlichen Auseinandersetzung geholfen wird läuft Gefahr die Fähigkeit zu verlieren, sich in der öffentlichen Debatte zu argumentativ zu behaupten.

Das Amt der Antisemitismusbeauftragten ist als Institution unter dem Gesichtspunkt seiner Vereinbarkeit mit dem Demokratiegebot zu thematisieren. Der Rechtswissenschaftler Prof. Gärditz hat dies getan und kommt zu dem Ergebnis, der Staat habe kein „Mandat zur Meinungspflege“, das Amt der Antisemitismusbeauftragten sei deswegen eine verfassungsrechtliche Fehlkonstruktion.

Kommunaler Anti-BDS-Beschluss Frankfurts: Vorsätzlicher Verfassungsbruch und die Fortsetzung auf Bundesebene

Probelauf in Frankfurt

Becker setzte den kommunalen Anti-BDS-Beschluss Frankfurts um in Kenntnis seiner Verfassungswidrigkeit, also vorsätzlich und nicht weil er sich in einem Rechtsirrtum befand. Er stellte sich dabei in zynisch-dreister Weise über Recht und Gesetz. Er trat auch nach dem für die Umsetzung dieser Beschlüsse ein (vgl.: Der kommunale BDS-Beschluss in Frankfurt: Chronik eines Verfassungsbruchs). In besonders exemplarischer Weise kommt die zum Ausdruck in einer Antwort Beckers auf eine Frage des rechtspolitischen Sprechers der FDP Dr. Uwe Schulz zum Ausdruck.

In einem Brief (21.1.2021) an OB Feldmann informierte Dr. Schulz das Stadtoberhaupt über das Urteil des höchsten Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, das dem Frankfurter BDS-Beschluss Verfassungswidrigkeit bescheinigte:

„Die von der Stadt ausgeübte Praxis, die insbesondere von Herrn Bürgermeister Becker politisch vorangetrieben wird, stellt eine gezielte Missachtung unseres Grundgesetzes und der Justiz dar. Die Verwaltung, so auch der Magistrat, ist an Recht und Gesetz gebunden.“

Becker handelte „gezielt“, d.h. vorsätzlich, weil er meinte es sich dies leisten zu können, angesichts eines die Stadtpolitik fraktionsübergreifend umfassendes, Medien und Presse einschließendes Schweigebündnisses auf kommunaler Ebene.  Er konnte so handeln, weil alle im Rechtsstaat vorgesehenen politischen und gesellschaftlichen Kontrollinstanzen, d.h. Magistrat, StVV (Ausnahme FDP), Presse und Zivilgesellschaft versagten.

Nach gelungener Übung folgte die Fortsetzung auf Bundesebene

Das Urteil des BVerwG hat keineswegs dazu geführt, dass Becker und andere Akteure ihre Meinung änderten. Ganz im Gegenteil. Diejenigen, die über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren in eine juristische Sackgasse hineinliefen, reagierten mit Belehrungen gerichtet an das höchste Verwaltungsgericht Deutschlands oder an die Politik.  

Frontalangriffe auf das Urteil sind von Uwe Becker und dessen Nachfolgerin im Frankfurter Bürgermeisteramt Eskandari-Grünberg bekannt. Angriffe etwas indirekterer Art zeichneten sich dadurch aus, den Gesetzgeber aufzufordern vermeintliche Gesetzeslücken zu schließen, die es auf verfassungsgemäßer Grundlage nicht geben konnte.

Der gelernte Bankkaufmann Becker eröffnete dies Kampagne mit einem Frontalangriff auf das BVerwG, in dem er es quasi zur Gewissenspflicht erhob, dieses zu umgehen. Das BVerwG habe „grünes Licht für die Verbreitung von israelbezogenem Judenhass in Deutschlands Städten gegeben“, so am 3.2.2022 in der Jüdischen Allgemeinen. So dreist spricht ein Politiker, der in mehr als vier langen Jahren nicht in der Lage war die Rechtmäßigkeit des kommunalen Anti-BDS in Frankfurt zu begründen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Pressemitteilung des Gerichts, in der die Entscheidung auf einer Seite im Grundsatz erläutert wurde. Frau Eskandari-Grünberg, Mitglied der Grünen in Frankfurt, Dezernentin und und Nachfolgerin Beckers im Bürgermeisteramt  plädierte ähnlich direkt und unumwunden im Sinne einer Umgehung des BVerG-Urteil: „Es wird Aufgabe des Magistrates sein, zu schauen, wie an dem richtigen Beschluss festgehalten werden kann“,  so am 9.6.2022 in der Jüdischen Allgemeinen. Vom Zentralratsvorsitzenden Joseph Schuster und Felix Klein sind indirektere Aufforderungen das Urteil zu umgehen oder zu ignorieren bekannt. Wobei gelegentlich insinuiert wird, der Gesetzgeber habe im Rahmen unserer Verfassung die Möglichkeit, BDS zu verbieten oder deren Meinungsfreiheit einzuschränken. Im Falle des Volljuristen Klein ist dies besonders bitter, weil ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu BDS, das er selbst angeregt hat, feststellt, ein gegen BDS gerichtetes Gesetz wäre „verfassungswidrig“ (S.6).

Die tatsächliche Entwicklung nach dem BVerwG-Urteil zeigte. Es hatte überwiegend keine Wirkung. Die Wirkung bestand darin, dass wirkliche oder als solche deklarierte BDS-Anhänger Veranstaltungsräume in staatlich-städtischem Besitz mieten konnten, ohne vorher ein Verwaltungsgerichtsverfahren zu durchlaufen. Wer den Rechtsweg nicht scheute, setzte sich auch früher schon durch.

Darüber hinaus wurde das Urteil ignoriert. Das zeigte sich exemplarisch in der Antisemitismus-Diskussion zur Documenta, in der über BDS gesprochen wurde, als gäbe es kein BVerwG-Urteil. Das zeigte sich unter anderem auch darin, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, in der Debatte des Bundestags zur Documenta sich dafür rechtfertigen musste, dass sie nicht für die mindestens in Teilen verfassungswidrige Resolution des Bundestages zu BDS stimmte – wohlgemerkt nach den BVerwG-Urteil.

Die Lehre aus dieser Geschichte: Ein höchstrichterlichers Urteil bleibt offensichtlich weitgehend wirkungslos, wenn es nicht von Politik und Zivilgesellschaft verteidigt wird.

Diese Entwicklung setzte sich fort – und damit sind wir wieder bei Uwe Becker – in den Planungen der Bundesregierung zur Antisemitismus-Bekämpfung. In den beiden wichtigsten Dokumenten dazu, wird das Urteil des BVerwG mit keinem Wort erwähnt. Das gilt für den Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Antisemitismus vom 2.9.2022, wie auch für den im Anschluss daran unter der Verantwortung von Felix Klein erstellten Text „Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ (NASAS), am 30.11.2022 beschlossen von der Bundesregierung. Das ist auch kein Wunder. An der Erstellung dieser beiden Texte, waren mit Felix Klein und Uwe Becker zwei Akteure federführend beteiligt, die über einen Zeitraum von über vier Jahren die verfassungswidrigen BDS-Beschlüsse als legitime Form der Antisemitismus-Bekämpfung propagierten und in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen initiierten.

Diese beiden Texte wirken über einen bürokratischen Drop-Down-Prozess über die Landesinnenministerien bis in die kommunalen Versammlungsbehörden, wo sie sich in verfassungswidrigen, weil die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkenden Auflagen für Demonstrationen oder in rechtlich höchst fragwürdigen Demonstrationsverboten manifestieren.

Uwe Becker hat in Frankfurt die Erfahrung gemacht: Es funktioniert Verfassung und Rechtsprechung zu ignorieren, wenn dieses Projekt mit dem passenden Etikett „Antisemitismus-Bekämpfung“ versehen wird. Diese Erfahrung hat ihn ermutigt, damit auf Bundesebene fortzufahren – bisher mit Erfolg. 

Strategisches Verhalten beim Militär, wie auch im sonstigen wirklichen Leben, zeichnet sich ganz wesentlich dadurch aus, Erfahrungen und Ergebnisse aus der Vergangenheit in (selbst)kritischer Absicht zu thematisieren. Dafür gibt es einen Begriff „Manöverkritik“.  Wer wie Uwe Becker und Felix Klein dies unterlässt, legt einen Schluss nahe: Für diese Akteure war nicht ihr verfassungswidriges Verhalten der Fehler, sondern das Urteil des BVerwG.

Beckers Verhältnis zum Völkerrecht und Menschenrechten: Am Beispiel des Trump-Plans

Becker trat als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) für den Trump-Plan ein, was man heute noch auf der Internet-Seite dieser Organisation nachlesen kann. Er versucht diesen Annexions-Plan als eine Variante der Zwei-Staatenlösung zu verkaufen. Das würde er vermutlich nicht einmal beim Nahost-Stammtisch der CDU in Frankfurt-Bornheim (wenn es dort einen solchen Kreis gäbe) plausibel machen können. Wie sich dieser Vorschlag zur Zweistaaten-Lösung verhält, wurde oben skizziert.

Hier soll auf einige menschen- und völkerrechtliche Implikationen hingewiesen werden, die zwar immer schon kennzeichnend waren für die Siedlungspolitik, durch den Trump-Plan aber endgültig festgeschrieben werden sollten:  

Der Trump-Plan implizierte die Festschreibung der in der Westbank vorherrschenden Apartheids-Zustände für den annektierten Teil der Westbank auf Dauer – nicht nur „vorübergehend“ wie dies jetzt unter Besatzungsverhältnissen der Fall ist. Apartheid ist auch ohne Trump-Plan ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerrecht. Der Trump-Plan beinhaltet die „dauerhafte Unterwerfung der Palästinenser“, so die palästinensische Menschenrechtsanwältin Zaha Hassan in der ZEIT. Becker versucht Apartheid plus Annexion als Variante der Zwei-Staatenlösung zu verkaufen. Die mit Steuergeldern finanziert DIG hat sich davon als Organisation bisher nicht distanziert.

Die an die Palästinenser gerichtete Zumutung, sich auf Dauer mit einem Status als Bürger zweiter Klasse zufrieden zu geben, enthält, von anderen Gesichtspunkten abgesehen, auch eine rassistisch-kolonialistische Färbung. Aus Sicht der Kolonialherrn sollten die Kolonisierten nicht nur keinen Widerstand leisten gegen ihre Unterdrückung, sondern darüber hinaus ihren Zustand dankbar als das für sie Beste akzeptieren.

Der Trump-Plan intendiert die israelische Siedlungspolitik in der Westbank zu endgültig zu legalisieren, inklusive der sog. Outposts, also jener Siedlungen, die auch nach israelischem Recht ungesetzlich waren, nicht nur nach Völkerrecht.

Im Rahmen der Siedlungspolitik ist die Aneignung von palästinensischen Land durch den Staat zu unterscheiden von der im Anschluss daran erfolgenden staatlichen Landzuweisung.  Sieht man ab von den in keinem Rechtsstaat als rechtskonform anerkannten Praktiken der Enteignung und Aneignung durch den Staat und nimmt nur die staatliche Landzuweisung zur Nutzung in Betracht, ergibt sich ein eindeutiges Bild des Landraubs an den Palästinensern: Nach offiziellen Zahlen der israelischen Regierung gingen 99,8 % der Landzuweisungen an die jüdischen Siedler der Westbank, die 12 % der dortigen Gesamtbevölkerung ausmachen, 0,2% des Landes erhielten die 88 % Palästinenser. Die Herausgabe dieser Zahlen hat die israelische Friedensorganisation „Peace Now“ auf gerichtlichem Wege erstritten.

Die Widersprüche dieser Enteignungs-Praktiken zu internationalem, aber auch zu israelischem Recht werden in der genannten Peace-Now-Quelle im Einzelnen dargestellt. Ein besonders gravierender Fall von Rechtsverletzung stellen dabei die Praktiken im Zusammenhang mit der Errichtung von sog. Außenposten (Outposts) dar, Siedlungen die auch nach israelischem Recht (nicht nur nach Völkerrecht) verfassungswidrig sind – unter anderem, weil Outposts häufig mit der Enteignung von palästinensischem Privatland einhergehen. Die Errichtung solcher Siedlungen wurde nach dem Oslo-Abkommen zu dessen Umgehung von verschiedenen israelischen Regierungen seit den 1990er Jahren aktiv gefördert als konzertierte Aktion verschiedener israelischer Regierungsstellen zum Zwecke der Versorgung dieser Siedlungenmit Infrastruktur und finanziellen Mitteln.

Die israelische Generalstaatsanwältin Thalia Sasson beschrieb den Vorgang in ihrem im Regierungsauftrag angefertigten Report von 2005.  Sie beschreibt die von diesen Praktiken ausgehende innenpolitische Signalwirkung, deren rechtsstaatliches Denken korrumpierende Einfluss v.a. auch auf die israelische Armee:  

„Daher scheint es, dass Gesetzesverletzungen institutionalisiert wurden. Wir sehen uns keinem Schwerverbrecher oder einer Gruppe von Schwerverbrechern gegenüber, die gegen das Gesetz verstoßen. Das Gesamtbild ist eine kühne Verletzung von Gesetzen durch bestimmte staatliche Behörden, Behörden, Regionalräte in Judäa, Samaria und Gaza und Siedler, während sie gleichzeitig ein ordentliches Rechtssystem vorgaukeln. Dies sendet eine Botschaft an die israelischen Streitkräfte, ihre Soldaten und Kommandeure, die israelische Polizei und Polizisten, die Siedlergemeinschaft und die Öffentlichkeit. Und die Botschaft ist, dass das Ansiedeln in nicht autorisierten Außenposten, obwohl illegal, eine zionistische Tat ist. Daher wird diese Doppelmoral augenzwinkernd übersehen“.

Der Trump-Plan offenbarte, worum es bei dem verharmlosend als „Siedlungspolitik“ bezeichneten Vorgang schon seit Jahren geht: Um die Vorbereitung der Annexion der Westbank. Diese wird praktisch immer noch betrieben, wenn auch die von Netanjahu für Juli 2020 vorgesehene De-Jure-Annexion vertagt wurde, sie war vorerst nicht durchsetzbar. Die nach wie vor virulente Annexions-Absicht manifestiert sich vor allem in der Vertreibung palästinensischer Bevölkerung und in der Durchsetzung des besetzten Landes mit Siedlungen in einer Art und Weise, die ein zusammenhängendes Staatsgebiet für die Palästinenser und damit die Zweistaaten-Lösung unmöglich macht.  

Beckers Haltung zum Trump-Plan macht klar: Er ist bereit unverblümt und in aller Form völker- und menschenrechtswidrige Praktiken zu legitimieren, auch wenn die deutsche Bundesregierung mindestens pro forma dagegen eintritt, weil sie Völker- und Menschenrecht offen widersprechen. Was Becker als CDU-Politiker betrifft, ergibt sich ein bemerkenswertes Spannungsverhältnis beim Thema Eigentum, dem in der Parteiprogrammatik seit Ludwig Erhards Zeiten eine zentrale Rolle als gesellschaftliche Teilhabe ermöglichenden Faktor zugeschrieben wird. „Wir wollen Deutschland zum Land der Eigentümer machen. Eigentum schafft Sicherheit“.

Für die Palästinenser scheint das nicht zu gelten, obwohl er sonst, wenn es politisch passt, gern wortreich gegen doppelte Standards eintritt.

Das Verhältnis von GG zum Völkerrecht wird in Art. 25 Satz 1 GG geregelt. Dieser erteilt einen generellen Rechtsanwendungsbefehl in Bezug auf das Völkerrecht. Diese Vorschrift bewirkt gemäß BVerfG, „dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ohne ein Transformationsgesetz, also unmittelbar, Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden und dem deutschen innerstaatlichen Recht im Range vorgehen“ – nicht aber dem deutschen Verfassungsrecht. [13]

Beckers öffentliches Kommunikationsverhalten: Postfaktisch, populistisch und autoritär

Beckers Reaktion auf die Studie von Amnesty International ist typisch für seinen populistischen Kommunikations-Ansatz. Dasselbe lässt sich beispielhaft zeigen an seiner Reaktion auf einen Artikel in der Frankfurter Rundschau von Thomas Borchert.

Dieser sprach in einem Kommentar zur israelischen Covid-Politik von Apartheid.[14] Israel hatte in einer Vereinbarung mit Dänemark und Österreich diesen beiden Ländern die Lieferung überschüssiger Impf-Dosen zugesagt, zu einem Zeitpunkt, als in den besetzten Gebieten zwar die israelischen Siedler, aber noch kaum dort lebende Palästinenser geimpft waren. Nicht nur Borchert, auch ein ehemaliger israelischer Ex-Botschafter und Knesset-Abgeordnete sprachen in einem offenen Brief an die Regierungschefs Frederiksen, Kurz und Netanyahu von Apartheid („Es gibt kein anderes Wort dafür als Apartheid“).

Dazu Becker:

Ich erwarte, dass die Frankfurter Rundschau ihre tendenziöse Berichterstattung korrigiert und sich für diese völlige Entgleisung entschuldigt. Mit Entsetzen habe ich heute den Kommentar der Frankfurter Rundschau zum Impfverhalten Israels gegenüber den Palästinensern gelesen und muss feststellen: Neben Unkenntnis und Vorurteilen bedient man sich auch noch des Apartheidbegriffes des Israel bezogenen Antisemitismus. Dies ist völlig inakzeptabel.“ [15]

Becker kontextualisiert und begründet nicht, er fordert eine Entschuldigung, wenn Israel kritisiert wird. Eine Entschuldigung fordert man üblicherweise, wenn ein nach gesellschaftlichem Konsens allgemein akzeptiertes Fehlverhalten vorliegt. Becker suggeriert mit seiner Einlassung die Verwendung des Begriffs Apartheid bezogen auf Israel sei per se ein solcher entschuldigungswürdiger Tatbestand.

Ohne Faktenbezug und argumentative Substanz stellt Becker Behauptungen auf, als sage er Selbstverständliches allgemein Geteiltes. Er konnte die Rechtmäßigkeit des kommunalen Anti-BDS-Beschlusses Frankfurts in vier Jahren nicht begründen, äußert sich aber zu einem in der völkerrechtlichen Fachdebatte nicht abgeschlossenen Thema (ethnische Vertreibung) ohne den Hauch von Sachkenntnis. Stereotyp und ohne irgendeine Kontextualisierung (wie sie selbst in der IHRA-Definition gefordert wird) redet er von der antisemitischen BDS-Bewegung, obwohl alle einschlägigen Urteile deutscher Gerichte diese pauschale Bewertung verwarfen.

Für Uwe Becker scheint israelbezogener Antisemitismus immer dann vorzuliegen, wenn bezogen auf Israel das Worte Apartheid, Rassismus, Kolonialismus oder ethnische Vertreibung etc. fallen. Für ihn gibt es nichts zu kontextualisieren, wie das die IHRA-Definition vorschreibt, oder zu differenzieren, wie dies Felix Klein in einem seltenen Moment lichter Erkenntnis ausgeführt hat: „Israel befindet sich auf dem Weg in Apartheid-ähnliche Zustände“. [16] 

In populistischer Manier suggeriert Becker, seine Behauptungen repräsentierten einen von der gesellschaftlichen Mehrheit getragenen, nicht mehr begründungs- und erklärungsbedürftiger Common Sense, der sich schon durchgesetzt hat.[17]

Populisten bewegen sich außerhalb des methodischen Rahmens eines rationalen Dialogs, wie dies durch höchstrichterliche Rechtsprechung Amtsträgern in ihrem Kommunikationsverhalten aufgegeben wird.  Das Sachlichkeitsgebot verlangt, „dass sich die amtlichen Äußerungen am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten“, verpflichtet zur „diskursiven Auseinandersetzung“. Die IHRA-Definition entspricht dem mindestens insofern, als sie – sozusagen als methodisches Minimum – eine kontextualisierende Begründung von Antisemitismus-Vorwürfen verlangt. Der Populist Becker setzt demgegenüber als gegeben voraus, was im Rahmen eines rationalen Diskurses erst zu belegen wäre, er versucht Tabubereiche des (Nicht)Sagbaren zu Israel abzustecken.

Bei ihm spielt der Begriff des „israelbezogenen Antisemitismus“ ein herausragende Rolle. Er ist nicht angekränkelt von skrupulösen Überlegungen der Art, wie sie der Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus in seinem Bericht 2017 anstellte. Die Experten konnten sich einigen, wenn der Begriff auf Äußerungen Anwendung findet, die klassisch-antisemitische Stereotype beinhalten.

Es lässt sich festhalten, dass der Eintritt in den Diskursverlauf zur Kritik an der Politik Israels immer mit der Problematik verbunden ist, dass Äußerungen zumindest ambivalent verstanden werden können, in jedem Fall aber israelbezogene Äußerungen dann als antisemitisch zu bezeichnen sind, wenn bekannte Stereotype benutzt werden, z.B.  „Morde an Juden gerechtfertigt“ oder Juden als „Kollektiv beschuldigt“ würden.“  Jenseits dieser Grenze bewege man sich in einer Grauzone. Dort gehe es um Äußerungen, die „zumindest ambivalent verstanden werden können (S. 28) (…)  Auch im Expertenkreis wurde über die Schwierigkeiten der eindeutigen Zuordnung diskutiert, fließende Übergänge konstatiert und auf ‚Grauzonen« verwiesen‘ konstatieren die Experten (S. 264). 

Wenn der UEA die IHRA-Definition um „eine wissenschaftliche Perspektive“ erweitern möchte, dann vermutlich, weil sie diese Perspektive noch nicht hat. Der Versuch diese Erweiterung zu leisten ist aber offensichtlich misslungen, über eine Grauzone sei man nicht hinausgekommen.

Der analytische Gebrauchswert eines Antisemitismusbegriffs, der nur in Verbindung mit klassischen Stereotypen eindeutig ist, geht gegen Null, weil der klassische Antisemitismus i.d.R. ohne Weiteres erkennbar ist. Mit dem propagandistischen Gebrauchswert verhält es sich anders. Die Unbestimmtheit des Begriffs begünstigt seine Verwendbarkeit als propagandistische Allzweckwaffe, wenn es darum geht jedwede Kritik an israelischer Regierungspolitik als antisemitisch zu denunzieren.

Becker befürwortet formal die Anwendung der IHRA-Antsemitismusdefiniton um gleichzeitig den darin formulierten methodischen Minimalstandard zur Identifizierung von Antisemitismus permanent zu unterlaufen. Die Definition, von ihrem Erfinder Kenneth Stern zur Erfassung von Antisemitismus in der Polizeiarbeit konzipiert, geriet für Stern ihn im Zuge ihrer „Fortentwicklung“ zum Code für Hassreden.


[1] Uwe Becker, Bewertung des Trump-Plans, 30.1.2020, https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/pressemitteilung/trump-plan/

[2] Danijel Majic: Feldmann wegen umstrittener Schirmherrschaft kritisiert, 31.05.2017, https://www.fr.de/frankfurt/feldmann-wegen-umstrittener-schirmherrschaft-kritisiert-11060015.html   

[3] Pitt von Bebenburg Interview mit Uwe Becker: Die AfD befördert in hohem Maße das Klima, in dem Antisemitismus wächst, 15.07.2019, https://www.fr.de/frankfurt/antisemitismus-afd-teil-enthemmung-becker-interview-12817214.html 

[4] https://twitter.com/itsuwe/status/1329834669882347523

[5] Vertreibungsdefinition im Völkerrecht: vgl. Art. 49 Abs. 1 Genfer Konvention IV

[6] DESTINATION: “OCCUPATION DIGITAL TOURISM AND ISRAEL’S ILLEGAL SETTLEMENTS IN THE OCCUPIED PALESTINIAN TERRITORIES, 6.2.2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1594902019ENGLISH.PDF

[7] Was im Verhältnis zu den Feststellungen von UNO und nationalen Regierungen aus dem Rahmen fällt ist die Feststellung, die Siedlungspolitik stelle nach Völkerstrafrecht Kriegsverbrechen dar. Hier übernimmt Amnesty offensichtlich die in Kap. 2.1.2.1.1. dargestellte Position des Völkerstrafrechts, die im allgemeinen Völkerrecht nach Aussagen der Studie WDBT.SP nicht Konsens ist.

[8] Uwe Becker kritisiert Amnesty International – Meron Mendel: Beckers Reaktion ist überzogen, https://www.journal-frankfurt.de/journal_news/Politik-10/Uwe-Becker-kritisiert-Amnesty-International-Meron-Mendel-Beckers-Reaktion-ist-ueberzogen-33493.html 

[9] Netanjahu: Es wird in Judäa und Samaria keine ethnischen Säuberungen geben, http://www.pi-news.net/2016/09/netanjahu-es-wird-in-judaea-und-samaria-keine-ethnischen-saeuberungen-geben/ 

[10] Adam Garfinkle: https://en.wikipedia.org/wiki/Adam_Garfinkle;  /„Ethnic Cleansing and Other Figments of Political Language”: https://www.fpri.org/article/2017/04/ethnic-cleansing-and-other-figments-of-political-language

[11] UN’s Ban: Netanyahu ethnic cleansing remarks ‚outrageous‘, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-37376069

[12] BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 <320>

[13] Stefan Talmon, Die Grenzen der Anwendung des Völkerrechts im deutschen Recht, S. 12

Juristen Zeitung 68. Jahrg., Nr. 1 (4. Januar 2013), pp. 12-21,  https://www.jstor.org/stable/23328027; Bundesfinanzhof Urt. v. 18.12.1963, Az.: I 230/61 S, Rn 15, https://research.wolterskluwer-online.de/document/c9db75af-bd70-4476-a798-e862f988bef9

[14] Thomas Borchert – der Kommentar: IMPF-ALLIANZ Höchstpreis Apartheid von Thomas Borchert – In der Not frisst der Teufel Fliegen, heißt es. In der Corona-Not mal eben Apartheid zu schlucken, kann man dem Teufel nachsehen, nicht aber Frederiksen und Kurz, https://www.fr.de/meinung/hoechstpreis-apartheid-90228113.html;  Thomas Borchert – der FR-Artikel: Ohne Rücksicht auf EU Israel lockt mit Impfstoffvorräten,

https://www.fr.de/politik/israel-lockt-mit-impfstoffvorraeten-90228416.html?utm_term=Autofeed&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1614985607;

[15] DIG-Vorsitzender Becker erwartet nach Apartheids-Vorwurf gegen Israel Entschuldigung der Frankfurter Rundschau, https://www.ruhrbarone.de/dig-vorsitzender-becker-erwartet-nach-apartheids-vorwurf-gegen-israel-entschuldigung-der-frankfurter-rundschau/196831

[16] Felix Klein und Micha Brumlik im Streitgespräch: Wann wird aus Kritik an Israel Antisemitismus?

https://plus.tagesspiegel.de/politik/felix-klein-und-micha-brumlik-im-streitgespraech-wann-wird-aus-kritik-an-israel-antisemitismus-33390.html

[17] Dazu: Der Populismusforscher Cas Mudde, „Menschen wählen nicht Populisten, weil sie glücklich sind“, https://www.zeit.de/politik/2015-06/mudde-interview-populismus;  Karin Priester, Wesensmerkmale des Populismus, in: Populismus, Aus Politik und Zeitgeschichte 62. Jahrgang · 5–6/2012 · 30. Januar 2012, https://www.bpb.de/system/files/pdf/GXU360.pdf


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