Volker Beck fordert die Bundesregierung zum Verfassungsbruch auf


Brief an die Mitglieder der DIG (Deutsch-Israelische Gesellschaft)

Text für meinen Verteiler:

Angesichts der Auslassungen von Volker Beck in der Jüdischen Allgemeinen habe ich einen Brief an die Mitglieder Deutsch-Israelischen Geselllschaft geschrieben. Mir scheint es wichtig, die Argumentation Becks etwas ausführlicher zu beleuchten, weil sich hier ein Grundmuster der Gegner der IStGH-Haftanträge abzuzeichnen scheint. Prof. Michael Wolffsohn „argumentiert“ ähnlich, sogar noch deutlich überzogener.

Diese Reaktionen zeigen, wie weit der Prozess der (verfassungs)rechtlicher Verwahrlosung und Selbstverdummung inzwischen vorangeschritten ist, wenn es um Israel geht. Man kann gespannt sein, wie das weitergeht und v.a. wie weit das noch geht. Wenn bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit reflexartige Kritik gerichichtlicher Entscheidungen erfolgt, wird sich das bei einer möglichen Verurteilung Israels im Völkermordverfahren wiederholen? Fragen sich diese Leute nicht wenigstens im eigenen Interesse, wie sie in ein paar Monaten oder Jahren dastehen?

Prof. Ambos schätzt, die Entscheidung des IStGH wird innerhalb von sechs Wochen fallen. Nicht viel Zeit für Politik und Gesellschaft, um sich darauf einzustellen. 

Text des Briefes an die Mitglieder der DIG: 

DIG-Präsident Volker Beck: Kapitän ohne Kompass angesichts der Haftanträge beim IStGH

Sehr geehrte Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft,

gestatten Sie einige Anmerkungen zu den Auslassungen Ihres Präsidenten Volker Beck zu den Haftanträgen beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).   

Erstens:

Volker Beck behauptet, der Nachweis, die israelische Justiz sei „nicht willens oder in der Lage Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen, kann nicht erbracht werden“, Artikel 17 des Römischen Statutes sei deswegen anzuwenden, der Strafverfolgung durch den IStGH ausschließt.

Diese Behauptung ist falsch, der besagte Nachweis ist erbracht. Im Verfahren wegen Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) hat das Gericht insgesamt sechs kurzfristig zur Erledigung an Israel gerichtete Maßnahme verfügt.

Maßnahme 3 besagt: „Der Staat Israel ergreift alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen, um die direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord an Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen zu verhindern und zu bestrafen“.

Dieser Maßnahme hat auch der Aharon Barak zugestimmt, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichts Israels, dem IGH ad-hoc als Richter auf Vorschlag Israels zugeordnet. 

Israel ist der Völkermordkonvention beigetreten. Diese verpflichtet die Mitgliedsstaaten „Aufstachelung zum Völkermord“ strafrechtlich zu verfolgen (Art. III, c).

Offensichtlich war Israels Justiz nicht „willens oder in der Lage“ dies umzusetzen, sonst hätte der IGH keine Veranlassung gesehen diese Maßnahme zu verfügen.

Ergänzend einige Beispiele, die diesen Befund ergänzen und erhärten: 

ð  Thomas Avenarius (SZ) berichtet am 11.4.2024 von einem Aufruf in einer Zeitungsanzeige der Jerusalem Post (JP) zur „Vernichtung und Vertreibung der Gaza-Palästinenser“. In der JP sah man dies offensichtlich als von der Meinungsfreiheit in  gedeckt an. Man teile aber „weder die Ansichten noch die Werte“. Von rechtlichen Konsequenzen wird nichts berichtet. Der vom IGH angemahnte Missstand hielt offensichtlich an nach Anordnung der Maßnahme 3.

ð  Ethnische Vertreibung, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerrecht, wird von israelischen Regierungsmitgliedern offen befürwortet. „Wir führen die Nakba 2023 ein“ so Avi Dichter im November 2023, Landwirtschaftsminister und Mitglied des Sicherheits- oder Kriegskabinetts, also des inneren politischen Entscheidungszirkels.   Zwei Tage nach dem Erlass der Maßnahmen des IGH veranstalteten Siedler eine „Konferenz zur Rückkehr in den Gazastreifen und Samaria“ unter Beteiligung von „20 Minister und Abgeordnete aus der Koalition von Premierminister Benjamin Netanjahu“. Regierungsvertreter traten offen für die Vertreibung der Gaza-Palästinenser ein. „Wir müssen einen legalen Weg finden, um [Palästinenser] freiwillig auszuwandern“ sagte Minister Ben Gvir. Ein Likud-Abgeordneter ergänzte,  „Freiwilligkeit ist ein Zustand, den man [jemandem] auferlegt, bis er seine Zustimmung gibt„.

Sowohl Amos Goldberg, wie auch eine von der Bundesregierung mit getragene Stellungnahme zum Völkermordverfahren Gambia v. Myanmar betonen den erfahrungsgemäß engen Zusammenhang von Völkermord und ethnischer Vertreibung.  

Goldberg: „Der Fall der Rohingya erinnert uns an das, was viele Völkermordforscher in ihrer Forschung festgestellt haben und was für den Fall Gaza sehr relevant ist: eine Verbindung zwischen ethnischer Säuberung und Völkermord.“

Gemeinsamen Stellungnahme von Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Niederlande und Großbritannien / Punkt 74:

 „Die Erklärenden tragen ferner vor, dass eine gewaltsame Militäroperation, die die Zwangsumsiedlung von Mitgliedern einer Zielgruppe auslöst, in ähnlicher Weise zum Nachweis eines spezifischen Vorsatzes zur Vernichtung der geschützten Gruppe beitragen kann, unabhängig davon, ob die Handlungen, die die Zwangsumsiedlung auslösen, unter eine der fünf Kategorien der dem Völkermord zugrunde liegenden Handlungen fallen.“

ð  Ezra Yachin, inzwischen 95-jähriger Ausbilder in der israelischen Armee wird mit folgendem Zitat zu Beginn des aktuellen Gaza-Krieges zitiert im Vortrag von Rechtsanwalt Ngcukaitobi (Südafrika) vor dem IGH (RN 26)

Seid siegreich und macht ihnen ein Ende, und lasst niemanden zurück. Löscht die Erinnerung an sie aus. Löscht sie aus, ihre Familien, Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht mehr leben … Wenn ihr einen arabischen Nachbarn habt, wartet nicht, geht zu ihm nach Hause und erschießt ihn … Wir planen einzumarschieren, nicht wie früher, wir wollen vordringen und das zerstören, was sich vor uns befindet, und Häuser eliminieren, dann das nächste zerstören. Mit all unseren Kräften, vollständige Zerstörung, Eindringen und Zerstören. Wie ihr seht, werden wir Dinge erleben, die wir uns nie erträumt haben. Lasst uns Bomben auf sie werfen und sie auslöschen.

Ezra Yachin war für die terroristische Untergrundorganisation Lechi/Lehi am Massaker in dem Ort Deir Yassin beteiligt. Wenn er fünzig Jahre als Ausbilder in der IDF tätig sein konnte und dafür 2018 ausgezeichnet wurde, wird man ihn nicht als eine zu vernachlässigende Randerscheinung abtun können.

ð  Wenn ein Siedler in der Westbank einen Palästinenser an- oder erschießt, ein IDF-Soldat danebensteht, keinen Finger rührt und den Siedler unbehelligt seines Weges gehen lässt, dann belegt dies Abwesenheit jeglicher Rechtsstaatlichkeit (Youtube Min 2.32 ff) im Bewusstsein der Personen, die solche Verbrechen ausführenden oder teilnahmslos beobachten. Unzählige Videos im Netz belegen: Die israelische Armee lässt den Siedlerterror in der Westbank zu und verteidigt die Rechtsbrecher, nicht die davon Betroffenen.

In seinem Bemühen die israelische Justiz als rechtstaatlich intakt darzustellen, erinnert Volker Beck an Sadam Husseins Informationsminister, seinerzeit auch unter dem Künstlernamen Comical Ali weltberühmt als „Fleisch gewordenes Desinfotainment“, weil er im Fernsehen die erfolgreiche militärische Behauptung der irakischen Armee verkündete, während im Hintergrund amerikanische Panzer über eine Brücke Bagdads rollten.

Zweitens:

Beck wirft dem Chefankläger „Gleichsetzung“ der „demokratisch gewählten Regierung Israels“ und der Hamas vor. 

Das ist eine Nebelkerze, die das eigentliche Problem verschleiert. Dass der US-Präsident und die Bundesregierung – bei unterschiedlicher Gewichtung dieses „Arguments“ – sich daran beteiligen ändert daran nichts.

Vor dem IStGH geht es um Straftaten von Personen. Wenn die Tatbestandsmerkmale für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt sind, dann ist es die Pflicht des Chefanklägers Khan seines Amtes zu walten. Gleichlautende Tatbestände bedeuten nicht eine Gleichsetzung von Israel und Hamas im Übrigen, sondern dass die Handlungen der Beklagten rechtlich unter dieselbe Kategorie fallen.

Wer im Fach Aussagenlogik nicht geschlafen hat, wird das nachvollziehen können. Prof. Kai Ambos (siehe Anhang) hat aufgepasst und stellt mit Verweis auf den Vietnamkrieg fest: „Dass ein Staat demokratisch ist, heißt ja leider nicht, dass er deswegen keine Kriegsverbrechen begehen kann.“  Die Journalistin Dahlie Scheindlin (Haaretz) hat auch aufgepasst: „dass Khan unerbittliche Anschuldigungen gegen beide Seiten vorbringt“ tut er „nicht als künstlichen Beidseitigkeitsismus (artificial both-siderism), sondern aus Verpflichtung gegenüber dem Gesetz.“

Dass in der internationalen Rechtsprechung Ernst gemacht wird mit dem Grundsatz: Niemand steht über dem Gesetz, darin besteht die neue Qualität im Verhalten des IstGH, die für Irritation und Aufregung sorgt: „Es ist der erste Aufruf zur Verhaftung von Führern, die von westlichen Großmächten unterstützt werden“.

Bezeichnenderweise geht Volker Beck nicht auf die Frage ein, ob für Netanyahu und Galant die relevanten Tatbestandsmerkmale erfüllt sein könnten. Das aber ist die entscheidende Frage. In der Debatte zur Völkermordklage Südafrikas haben viele Völkerrechtler eine Verurteilung Israels im Hauptsacheverfahren für unwahrscheinlich gehalten, obwohl einige (z.B. Kai Ambos und Prof. Talmon) wie selbstverständlich von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgingen. Ronen Steinke, Jurist und Journalist jüdischer Herkunft unterstellt Kriegsverbrechen „noch und nöcher“ (bei Illner am 16.4.2024).

Die DIG-Präsidenten Uwe Becker und Volker Beck bewegen sich seit Jahren in einer verfassungsrechtlichen Sackgasse

Volker Becks Schelte des IstGH-Anklägers kommt in ihrer Dreistigkeit und Ignoranz daher wie die Kritik seines Amtsvorgängers Uwe Becker am Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 20.1.2022) zu den kommunalen BDS-Beschlüssen. Das BVerwG habe „grünes Licht für die Verbreitung von israelbezogenem Judenhass in Deutschlands Städten gegeben“, so der gelernte Bankkaufmann Becker am 3.2.2022 in der Jüdischen Allgemeinen. Becker machte damit die Missachtung des BVerwG-Urteils zu einem moralischen Gebot ähnlich wie Beck die Bundesregierung auffordert im Geiste der Staatsräson die Verfassung zu brechen. Becker hat in Frankfurt den Anti-BDS-Beschluss in Kenntnis seiner Verfassungswidrigkeit umgesetzt, d.h. er hat die Verfassung vorsätzlich gebrochen und nicht etwa aus rechtlicher Unkenntnis. Becker manifestierte auch unabhängig davon, dass er nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Etwa wenn er den Trump-Plan zur Annexion von 30 % der Westbank befürwortete, ein Plan der für die Palästinenser im Annexionsgebiet keine rechtliche Gleichstellung mit israelischen Palästinensern vorsah oder wenn er in wichtigen Nahostpolitischen Fragen (ethnische Vertreibung, Ostjerusalem) völkerrechts- und damit grundgesetzwidrige Positionen vertrat. Beckers Ignoranz bzw. Zynismus kommt auch darin zum Ausdruck, dass er den Trump-Plan „auf dem Grundprinzip der Zwei-Staaten-Lösung“ basierend einordnet.

Volker Beck hat kein öffentliches Amt. Wenn er verfassungswidrige Positionen vertritt, ist dies anders zu werten als für den Amtsträger Uwe Becker (als Antisemitismusbeauftragter und hessischer Staatssekretär Becker). Im Rahmen der Meinungsfreiheit bleibt es Volker Beck unbenommen auch verfassungswidrige Positionen zu vertreten.

Prof. Ambos plädiert in Übereinstimmung mit unserer Verfassung dafür den IStGH zu stützen (Wenn wir jetzt nicht ohne Wenn und Aber zum IstGH stehen, liefern wir seinen Hauptgegnern, vor allem den Chinesen und den Russen, praktisch eine Vorlage, noch direkter gegen den ICC vorzugehen). Volker Beck tritt im Namen der Staatsräson für das genaue Gegenteil ein, nämlich für eine Schwächung der internationalen Gerichtsbarkeit, deren Stärkung bisher ein Kernelement offizieller deutscher Außen- und Rechtspolitik war.

Die Intensität, Kontinuität und Ausmaß, mit der Becker und Beck als Vertreter der NGO Deutsch-Israelische Gesellschaft für eine Missachtung von Verfassung und Rechtsprechung im deutschen (Beispiel Anti-BDS-Beschlüsse) und internationalen Recht eintreten, wirft Fragen auf:

ð  Politisch: Wie weit will die DIG gehen in Ihrer Vasallentreue zur jeweiligen israelischen Regierung, wenn deren Präsident auch bei einer triftiger Indizienlage für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen für eine Schwächung internationaler Rechtsprechung eintritt um Strafverfolgung nach politischen Opportunitätsgesichtspunkten regeln zu können? Wer bisher davon ausging, dass die Völkermord-Klage Südafrikas aussichtslos sei, wird sich nach den Ausführungen des israelischen Holocaust-Forschers Amos Goldberg (Yes, it is genocide / Übersetzung siehe Anhang) und der IStGH-Klage (sollte diese erfolgreich sein) nicht mehr so sicher sein.  

ð  Förderrechtlich: Die DIG erhält öffentliche Mittel vom Auswärtigen Amt. Grundgesetztreue i.S. eines jederzeitigen Eintretens für die Freiheitlich demokratische Grundordnung dürfte hier eine der Voraussetzungen sein. Wenn die Aussagen des aktuellen Präsidenten und die seines Vorgängers als repräsentative für die NGO insgesamt unterstellt, so könnten sich auch hier Fragen offen stellen, die der eine oder andere im Auswärtigen Amt im Stillen jetzt schon stellen mag.

Möglicherweise bewegen wir uns auf einen Paradigma-Wechsel in der deutschen Nahostpolitik zu, nicht weil die Regierung das will, sondern weil die Umstände dies erzwingen.

Die Israel-Freundschaft im Geiste der deutschen Staatsräson, degeneriert immer mehr zu einem Elitenprojekt, dem Zustimmung in der Bevölkerung nach und nach abhandenkommt. Nicht weil Antisemitismus zunimmt, sondern weil dieses Projekt immer unglaubwürdiger wird, weil es in Widerspruch zu einem elementaren Grundsatz von einigen auf Biegen und Brechen verfolgt wird:  

Dieser Grundsatz lautet: Es gibt keine Verantwortung vor der deutschen Geschichte im Widerspruch zu unserer Verfassung. Das GG wurde im Bewusstsein dieser Verantwortung formuliert und beinhaltet einen Bruch mit einem Verständnis von Staatsräson, das eine höhere Vernunft etablieren möchte, die es gestattet, Rechtsprechung und Verfassung zu missachten.

Freundliche Grüße

Helmut Suttor 


2 Antworten zu “Volker Beck fordert die Bundesregierung zum Verfassungsbruch auf”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert