Zur Rechtslage
Ein Urteil des Hessischer Verwaltungsgerichtshofs
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HVGH) hat in einem Eilverfahren die oben genannte Parole für eine am 2.12.2023 in Frankfurt durchgeführte Demonstration verboten. Bei Eilverfahren ist der Instanzenzug im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf der Ebene des HVGH ausgeschöpft, eine Revision also nicht möglich. Deswegen ist zu befürchten, dass auch in Hessen die Meinungsfreiheit bei Themen zu Nahost und Antisemitismus auf absehbare Zeit zusätzliche eingeschränkt ist, wenn auch nicht so weitgehend wie in Berlin. Dort geht es um Demonstrationsverbote, nicht um Demonstrationsauflagen.
Dr. Max Kolter, Redakteur Legal Tribune Online (LTO), erörtert das Urteil in einem Beitrag „Nach Hamas-Verbot durch das BMI „From the River to the Sea“ plötzlich strafbar?“.
Die geltende Rechtsprechung dazu besagt: Bei mehrdeutigen Aussagen, sei die „straflose Deutungsmöglichkeit zugrunde zu legen, wenn sie diese nicht aus anderen Gründen im Einzelfall“ ausgeschlossen werden könne. Die Spannbreite der Deutungsmöglichkeiten reicht bekanntlich von „Treibt die Juden ins Meer“ bis zu einem Eintreten für eine friedliches und demokratisches Zusammenleben aller Bewohner zwischen Jordan und Mittelmeer.
Im Rahmen einer Einzelfallprüfung könne sich allerdings etwas anderes ergeben. Wenn die Parole beispielsweise auf einer Demonstration skandiert wird, die im Zeichen der Unterstützung des Hamas-Massakers vom 7.10. steht, kann eine rechtliche Bewertung zu dem Ergebnis führen, es sei die Vernichtung Israels oder seiner Bewohner gemeint.
Der HVGH stützt seine im Eilverfahren getroffene Entscheidung auf einen Halbsatz in der Hamas-Verbotsverfügung des Bundesinnenminsteriums (BMI) vom 2.11.2022 (BAnz AT 02.11.2023 B10).
Unter Punkt 3 heisst es dort:
„Es ist verboten, Kennzeichen der HAMAS für die Dauer der Vollziehbarkeit öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden. Das Verbot betrifft insbesondere folgende Kennzeichen“
Dann werden 18 Abbildungen vom Verbot erfasste Kennzeichen mit Erläuterung aufgezählt. Die letzte Abbildung No. 19, gibt ein „älteres Logo von AL-AQSA-TV“ wieder, dem Fernsehsender von Hamas und enthält eine Ergänzung (gelb markiert):
Dazu ist folgendes zu sagen:
- Die Parole wird als „Kennzeichen der HAMAS“ vorgestellt, als sei eine klare Zuordnung wie beispielsweise beim Logo des Hamas-Fernsehsender (Abbildung 19), beim Logo der „Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden“ (Abbildung 6) oder bei der Grafik, die den Terrorangriff vom 07.10.2023 versinnbildlicht (Abbildung 8).
- Keine der anderen Abbildungen weißt einen vergleichbare Ergänzung auf, die wie ein Fremdkörper wirkt. Man hat den Eindruck die Autoren dieser Verbotsverfügung suchten krampfhaft nach einer Möglichkeit die Parole irgendwo unterzubringen, um sie inkriminieren zu können, wussten aber nicht so recht wo und wie. Die Abbildungen werden teilweise ausführlich erläutert. Eine Erläuterung zur Platzierung und Interpretation dieser Parole fehlt, als würde sich dieser Vorgang von selbst erklären.
- Dr. Kolter zitiert den Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn der sich über die schlampige Arbeit im BMI wundert. „Es ist nicht verständlich, warum diese wichtige Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums so nachlässig formuliert ist“. Die Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ genüge nicht den Erfordernissen der Bestimmtheit. „Weil die öffentliche Äußerung der Parole bereits den objektiven Tatbestand erfüllt [d.h. ohne weitere Interpretation und Kontextualisierung H.S.], gelten für die Bestimmtheit nach dem Bundesverfassungsgericht besonders hohe Anforderungen.“ Die Formulierung ermögliche demgegenüber noch nicht einmal eine klare geografische Zuordnung.
- In dem das BMI die Parole in diesen Kontext stellt, soll offensichtlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgangen werden, die den Grundsatz der „straflosen Deutungsmöglichkeit zugrunde legt.“ Durch die Einordnung der Parole als „Kennzeichen“ der Hamas kommen §§ 86, 86a StGB zur Anwendung (§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen). Es geht dann nicht mehr um die Frage, wie die Parole gemeint ist, ob in ihr im Rahmen einer Einzelfallprüfung ggf. Verfassungswidriges zu Tage gefördert wird. Sie erfüllt vielmehr durch ihre öffentliche Äußerung den objektiven Tatbestand einer strafbaren Handlung, ebenso wie das Schwenken einer Hamasflagge oder Hakenkreuzfahne. Dr. Kolter: … die Parole wird „für sich“ als Kennzeichen einer verbotenen oder terroristischen Vereinigung eingestuft.
- Was die Einordnung der hier einschlägigen Parole betrifft: Die Fakten dazu sind nur ein paar Mausklicks entfernt im Internet zu finden. Die Parole ist weder ein Kennzeichen für Islamisten (Hamas oder andere), sie ist noch nicht einmal eine spezifisch palästinensische Parole, obwohl PLO und Fatah sie benutzten, lange vor der Gründung der Hamas 1987. Die Parole war bei den säkular orientierten palästinensischen Organisationen in Gebrauch zu Zeiten, bevor diese das Existenzrecht Israels im Zuge des Oslo-Prozesses anerkannten. Das macht die Parole politisch problematisch, aber nicht zu einer strafbaren Handlung. Es gibt auch eine jüdisch-israelische Variante dieser Aussage: „between the Sea and the Jordan there will only be Israeli sovereignty“ – nachzulesen in der Charta der Likudpartei von 1977, zehn Jahre vor der Hamas-Gründung. Bassem Youssef, agyptischer Herzchirurg und Politsatiriker erklärt den Sachverhalt knapp und bündig in einem Interview mit BBC.
Der HVGH verweist in seinem Urteil darauf, dass er nach formellen Gesichtspunkten entschieden hat, weil für eine „materiell-rechtlichen Überprüfung“ in einem Eilverfahren keine Zeit gewesen sein. „Ob das Verbot dieser Parole einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Verbotsverfügung anhand der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG standhalten wird, kann im anhängigen Eilverfahren aufgrund der gebotenen Dringlichkeit einer Entscheidung nicht abschließend bewertet werden.“
Hier manifestiert sich ein Vorgang, der auch in anderen Bundesländern zu beobachten ist, besonders bei Demonstrationsverboten in Berlin. Durch die Rechtsprechung im Wege von Eilverfahren ist der Instanzenweg bei den Oberlandesgerichten (bzw. Verwaltungsgerichtshöfen) ausgeschöpft. Wenn bis dahin verfassungswidrige Entscheidungen fallen bzw. „materiell-rechtlichen Überprüfungen“ nicht stattfinden können, kann es sein, dass der Zustand faktischer Aushebelung von Grundrechten lange anhält. Die bestehenden Möglichkeiten beim Bundesverfassungsgericht trotzdem Recht zu bekommen, sind langwierig und teuer.
Beim Thema Antisemitismus und Nahost kommt hinzu: Politik und Mehrheitsgesellschaft sind nicht interessiert an Einhaltung an Recht und Gesetz. Das macht nicht nur der hier vorgestellte windige Trick des BMI deutlich. Es zeigt sich an vielen Stellen:
- in der Missachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgericht zum Münchner Anti-BDS-Verfahren
- darin, dass dieses Urteil in den Texten zur Strategie zukünftiger Antisemitismusbekämpfung (Nationale Strategie …) nicht einmal erwähnt wird.
- Darin, dass im Entschließungsantrag des Bundestags „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ vom 7.11.2023, dazu aufgerufen wird im Sinne des Bundestagsbeschlusses vom 17.5.2019 die „gegen die BDS-Bewegung gerichteten Aktivitäten zu verstärken“ und „ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland“ zu prüfen. Dies obwohl, sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mindestens ergibt, dass der BT-Beschluss zu verfassungswidrigem Verhalten aufruft und ein BDS-Verbot verfassungswidrig wäre. Letzteres ist auch der Befund eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages zu BDS in dem es klipp und klar heisst: „Ein derartiges Gesetz wäre nicht mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu vereinbaren und daher verfassungswidrig“. Felix Klein hat dieses Gutachten in Auftrag gegeben. Wiederholt wird betont, es solle selbstverständlich allüberall „rechtsstaatlich“ zugehen.
Beim Thema Antisemitismus und Nahost muss man sich in Deutschland nicht anstrengen, wenn man sich an die Vorgaben des Mainstreams hält. Das stramme Bekenntnis zu allem Möglichen, was man nur halb oder auch gar nicht verstanden hat, ist wichtiger als sich der Anstrengung zu unterziehen, den eigenen Verstand ohne Anleitung von Dritten zu bemühen. Der krasse Mangel an Professionalität und der Begründungsnotstand auf allen Ebenen bringt dieses Problem zum Ausdruck.
Bisher hat die Justiz, mindestens auf den höheren Ebenen der Rechtsprechung dieser Verwahrlosung der Rechtskultur entgegengewirkt. Das galt auch für Hessen. Die Urteile zu angestrebten Demonstrations- oder Veranstaltungsverboten waren rechtsstaatlich gut begründet. Wenn es Verbote gab, war dies nachvollziehbar, beispielsweise bei Demonstrationen auf denen das Hamas-Massaker als legitime Form des Widerstands dargestellt werden sollte.
Das aktuelle Urteil wirft Fragen auf. Hatte das Gericht keine anderen Optionen? Wenn es möglich ist eine Parole, die weit davon entfernt ist ein „Kennzeichen“ von Hamas zu sein i.S. von §§ 86, 86a StGB, dann kann man so gut wie jede andere Parole in einem vergleichbaren Kennzeichen-Katalog bei der nächsten Verbotsverfügung unterbringen. Im konkreten Fall waren noch 18 Plätze frei. Der Bauerntrick-Charakter der Manipulation des BMI war erkennbar, auch unter Bedingungen der Dringlichkeit. Die Justiz ist unabhängig. Ich meine, der HVGH hätte ein Zeichen setzen müssen gegen die von Staats wegen betriebenen Verwahrlosung der Rechtskultur in Deutschland.
Helmut Suttor, Frankfurt