„From the river to the sea …. “ als Infragestellung des Existenzrechts Israels


Auf einer Demonstration in Frankfurt erging die Durchsage der Polizei, das Existenzrecht Israels dürfe nicht in Frage gestellt werden, weder explizit noch implizit über gleichbedeutende Aussagen. Auf Nachfrage bei einem Einsatzleiter besagte die Auskunft, der o.g. Spruch falle darunter.

Innenministerin Faeser versucht diesen Spruch auf den Verbots-Index zu hieven.

Dazu ist zunächst zu sagen: Die Polizei begibt sich hier auf das Feld des sog. „israelbezogenen Antisemitismus“. Dieser ist nach dem Bericht (2017) der Unabhängigen Expertenkommission Antisemitismus in einer Grauzone (Link 6: S. 27 Exkurs: »Grauzonen«) angesiedelt. Die Experten konnten sich in stundenlangen Diskussionen nicht einigen auf das, was unter diesen Begriff fällt und was nicht. Ich fürchte Polizei und Staatsanwaltschaft sind damit auch überfordert.

Folgendes ist hier zu erwarten:

  • Man müllt Ermittlungsbehörden und Justiz mit unsinniger Arbeit zu, denn eine der geklärten Rechtsprechung folgende Justiz wird Klagen nicht zulassen.
  • Eine Justiz, die nicht auf der Höhe der geltenden, geklärten Rechtsprechung urteilt (wie beispielsweise in Berlin) wird zurückgepfiffen durch die höchstrichterliche Instanz, mit der Folge, dass es wie bei den Anti-BDS-Beschlüssen ggf. über Jahre zu einer verfassungswidrigen Verbotspraxis kommt.

Wenn der hier in Rede stehende Spruch als eine Infragestellung des Existenzrechts Israels gewertet wird, stellt sich die Frage, um welchen Staat es sich handelt, dessen Existenzrecht bestritten wird.

Da gibt es folgende Möglichkeiten:

  1. Israel in seiner aktuellen Verfasstheit als jüdischer und zionistischer Staat.

Nach offizieller Interpretation der israelischen Regierung garantiert dieser Staat nicht die Gleichberechtigung „aller seiner Bürger“ (so das Versprechen der Unabhängigkeitserklärung). Ministerpräsident Netanyahu 2019:  „Israel ist nicht der Staat aller seiner Bürger (…) Gemäß dem von uns verabschiedeten Nationalstaatsgesetz ist Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes – und nur das„.

Anders gesagt: Wer den Palästinensern absprechen will die Existenzberechtigung eines Staates zu verneinen, der ihnen auf Dauer nur das Schicksal von Bürgern zweiter Klasse einräumt, muss sich tendenziellen Rassismus oder Kolonialismus vorhalten lassen. Die Kolonialherren haben den Kolonisierten dieses Schicksal zugedacht und dabei verlangt bzw. erwartet, dass die Kolonisierten dieses als die für sie beste Lösung anerkannten.

Mit einem dem deutschen GG entsprechenden Rechtsverständnis hat das nichts zu tun.

  1. Israel als ein jüdischer und demokratischer Staat, der Demokratie für die Palästinenser nicht nur behauptet, sondern auch materiell realisiert.

Zunächst ist zu berücksichtigen: Das Problem in Israel ist nicht, dass der Staat keine Verfassung hat (das trifft auch zu für Großbritannien und Neuseeland) sondern, dass der Gleichheitsgrundsatz nicht im Rechtssystem verankert ist (Schmidt /S. 145). Dieser Zustand müsste überwunden werden, wenn von einem demokratischen Staat auch für die Palästinenser gesprochen werden kann. Hier muss man verstehen, dass dieses Problem auf die israelische Staatsgründung zurückgeht. Im Zuge derselben wurden 750.000 von 910.000 palästinensische Bürger vertrieben, weil es um einen jüdischen Staat mit demografischer jüdischer Mehrheit gehen sollte. Nach dem Akt der Vertreibung musste die damit verbundene entschädigungslose Enteignung und die Verhinderung der Rückkehr der Vertriebenen rechtlich abgesichert werden. Mit einer Verfassung, die den Gleichheitsgrundsatz beinhaltet, war das nicht zu machen, weil den vertriebenen „Bürgern“ damit eine rechtliche Handhabe gegen das ihnen angetane Unrecht in die Hand gegeben worden wäre.

Deswegen: Eine Demokratie, die Gleichheit „für alle seine Bürger“ (so die Proklamation bei Staatsgründung am 14.5.1948) gewährleistet, war mit dem zionistischen Staatsgründungsprojekt nicht vereinbar. Nicht nur die National-Religiösen haben dies abgelehnt, sondern vor allem die politische und militärische Elite Israels. Aus diesem Grunde wird Israel von einigen Theoretikern als Ethnokratie bezeichnet.

Theoretisch ist vielleicht denkbar, dass sich Israel in den Grenzen von 1967 zu einer Demokratie entwickelt mit einer Verankerung des Gleichheitsgrundsatzes im Rechtssystem, wie andere ehemaligen Ethnokratien auch. Im Rahmen einer Zweistaatenlösung, wäre dies ein Staat mit einer klaren demokratischen Legitimationsbasis und durch die Wahrung des demografischen Übergewichts der jüdischen Israelis auch ein zionistischer Staat.

Die Existenzberechtigung dieses Staats in Frage zu stellen, wäre auch aus palästinensischer Sicht nicht legitim. Dieser Staat existiert aber nicht.

Für eine Zweistaatenlösung gibt es aber nach so ziemlich allen Experten keine Grundlage mehr. Was verharmlosend als Siedlungspolitik in der Westbank bezeichnet wird, war de facto eine Politik zur Vorbereitung der Annexion. Die Siedlungen wurden strategisch so geplant, dass ein territorial zusammenhängendes Gebiet als Grundlage für einen palästinensischen Staat nicht mehr möglich war. Außerdem wurden die Palästinenser durch die Militärverwaltung in der Westbank vertrieben mit bürokratisch-schikanösen Methoden.

Fußnote:

Yvonne Schmidt (inzwischen Prof. Yvonne Karimi-Schmidt): Foundations of civil and political rights in Israel and the occupied territories Doctoral Thesis, S. 123; https://www.academia.edu/1967765/Foundations_of_civil_and_political_rights_in_Israel_and_the_occupied_territories;

  1. Einstaatenlösung nach dem Prinzip „One Man, One Vote“

Bezogen auf diese Perspektive bedeutet (bzw. kann bedeuten) die Ablehnung des Existenzrechts Israels als Staat in seiner gegenwärtigen Verfasstheit, die Forderung von demokratischen Verhältnissen vom Jordan bis zum Mittelmeer. Das bedeutet aber auch das Ende des Zionismus, weil dann eine demografische Mehrheit der jüdischen Israelis nicht mehr gegeben ist. Wenn man hier argumentiert (w.z.B. Prof. Fischer), weil in dem hier in Rede stehenden Spruch von Palästina die Rede ist und nicht von Israel, sei der Spruch strafbar, stellt sich die simple Gegenfrage: Warum sollen die Palästinenser einen Staat, in dem sie die Hälfte der Bevölkerung stellen „Israel“ nennen und nicht „Palästina“. Wenn keine doppelten Standards gelten, sollte dies kein Problem sein.

Den Staat Israel in zionistischer Definition gibt es dann nicht mehr, nicht weil sein Existenzrecht bestritten wurde, sondern weil er sich überlebt hat. 

Die Argumentation, die hier Strafbarkeit konstruieren will ist bei Licht besehen das Ergebnis unserer in Deutschland rückständigen Wahrnehmung des Nahostkonflikts. Wenn man Nakba-Ausstellungen verbietet, dann darf man sich nicht wundern, dass das grundlegende Dilemma der Staatsgründung Israels nicht begriffen wird. Bei der Nakba geht es nicht nur um ein menschenrechtliches Verbrechen, sondern um eine grundlegende Weichenstellung für die Geschichte Israel-Palästinas bis heute.

Es ist hohe Zeit sich dem grundlegenden Dilemma der israelischen Staatsgründung zu stellen: Die aus Europa geflohenen und vertriebenen Juden wollten aus sehr nachvollziehbaren Gründen einen Staat, in dem sie nicht mehr Minderheit waren. In dem Umfeld, in dem Sie das umsetzten, war dies unvermeidlicher Weise mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen verbunden. Die Folgen dieses Dilemmas wirken bis heute nach.

Die Infragestellung der Existenz Israels in seiner heutigen Verfasstheit kann durchaus die Perspektive für eine friedliche Zukunft eröffnen. Eine Garantie dafür gibt es natürlich nicht.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat das Problem gelöst – nach meiner Ansicht verfassungskonform:

https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/JURE230056038

FN 7: Selbst wenn er den Ausruf „From the River to the Sea, Palestine will be free“ getätigt haben sollte, lasse sich hieraus nichts ableiten, da dieser Slogan für sich genommen nicht antisemitisch sei und auch keinen Bezug zum Völkermord aufweise. Der Slogan müsse in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung verstanden werden und nicht als Ausruf zu Gewalt und Zerstörung, sofern nicht zwingende zusätzliche Anhaltspunkte das Gegenteil nahelegen würden. Im Ergebnis liege schon keine ausreichend gewichtige Unterstützungshandlung vor, um eine Ausweisung – trotz subsidiärem Schutz – zu rechtfertigen. Selbst wenn man dies annähme, habe er sich spätestens im Rahmen der Anhörung vor Erlass des Ausweisungsbescheids glaubhaft von Gewaltanwendung und terroristischen Aktivitäten distanziert.


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