Ausstellung 1948 „Wie der Staat Israel entstand“ vom 20.09.2023 – 26.09.2023 in Schwäbisch Gmünd
Sehr geehrter Herr Landesbischof Gohl,
Sehr geehrter Herr Dr. Blume,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Baron,
Sehr geehrte Mitreferenten:innen,
ich schreibe Ihnen aus Frankfurt als Mitglied einer kleinen Bürgerinitiative (Titania-Gruppe). Wir haben uns seit 2019 v.a. mit der Rechtmäßigkeit der sog. Anti-BDS-Beschlüsse beschäftigt, deren Verfassungswidrigkeit inzwischen durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 20.1.2022 festgestellt wurde. Wir begreifen unser Engagement gegen die o.g. Ausstellung als Fortsetzung dieses Engagements.
Diese Ausstellung fällt zwar in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Für nicht legitimierbar halten wir es allerdings, dass sie von staatlicher oder kirchlicher Seite direkt oder mittelbar unterstützt wird.
Für den Antisemitismusbeauftragten Dr. Blume ergibt sich ein zusätzliches Glaubwürdigkeitsproblem in zweifacher Hinsicht:
- Er hat zwar die Nakba-Ausstellung von Ingrid Rumpf in einem seiner Berichte kritisiert u.z. in einem Kapitel „Israelfeindlichen Antisemitismus stoppen“. Zur o.g. Ausstellung fehlt, soweit bekannt, irgendeine Stellungnahme, trotz gravierender Mängel in vielerlei Hinsicht. Hier gelten offensichtlich doppelte Standards.
- Für jeden Laien, der sich mit Antisemitismus beschäftigt, sollte unmittelbar einsichtig sein: Die Bekämpfung dieser und anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kann nur nachhaltig sein, wenn dieses Anliegen im Rahmen unserer Verfassung verfolgt wird. Herr Blume hat aber, ebenso wie alle anderen Beauftragten, Antisemitismusbekämpfung in verfassungswidriger Weise betrieben über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem o.g. Urteil des BVerwG. Auch zu diesem Punkt schweigt Herr Blume, ebenso wie sein Kollege Felix Klein. Letzterer hat im November 2022 eine „Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ vorgestellt. In diesem Text wird das Urteil des BVerwG mit keinem Wort erwähnt. Wir glauben nicht, dass die Zukunft der Antisemitismusbekämpfung Personen anvertraut werden sollte, die über Jahre rechtsvergessen, kopf- und prinzipienlos in eine Sackgasse reingelaufen sind.
Sie beteiligen sich als Referenten an einer Tagung zum Thema „Antisemitismus heute“ 24.09.2023 – 26.09.2023 in Schwäbisch Gmünd.
Diese Tagung findet statt im Kontext der o.g. Ausstellung. Sie würden sich mit Sicherheit nicht an einer Veranstaltung beteiligen im Kontext einer Ausstellung, die den Holocaust leugnet. Dass Sie sich (vermutlich mit dem allerbesten Gewissen) an einer Veranstaltung beteiligen, die als Rahmenprogramm zu einer Ausstellung stattfindet, in der die Nakba geleugnet wird, verweist auf ein grundsätzliches Problem unserer deutschen Debatten zum Nahostkonflikt und zu Antisemitismus.
Diese ist durch eine strukturelle Ausgrenzung der palästinensischen Konfliktperspektive und Interessenlage gekennzeichnet, in Gegenwart und Vergangenheit.
Wir möchten einen aus unserer Sicht besonders skandalösen Punkt herausgreifen. Einen von vielen Punkten, die zu nennen wären.
In der besagten Ausstellung wird das kollektive Trauma der Palästinenser, die Nakba geleugnet. Die Leugnung des Holocaust ist in Deutschland ein Straftatbestand. Die Leugnung des kollektiven Traumas Palästinenser erfährt hingegen öffentliche Förderung durch Politik und Gesellschaft. Wenn sich in der Leugnung der Holocaust Antisemitismus ausdrückt, dann wird man die Leugnung der Nakba als Ausdruck von Rassismus bezeichnen müssen, auch wenn sie keinen Straftatbestand darstellt. Nämliches gilt für die in der Ausstellung zum Ausdruck gebrachte Schuldumkehr: Sie ist wie beim Antisemitismus als Manifestation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu werten, wenn die Regeln der Logik noch Gültigkeit haben.
Tafel 25 der Ausstellung trägt den Titel „Die arabischen Flüchtlinge aus Palästina“. Dort werden folgende Fluchtgründe der Palästinenser genannt:
1. Generelle Angst vor Kriegsgefahren; 2. Aufrufe zur Flucht durch arabische Führer; 3. Angstpropaganda; 4. Soziokulturelle Aversion (religiös-konservative Muslime wollten nicht unter „Ungläubigen“ leben); 5. Rückkehr in die arabischen Heimatländer (Jahrzehnten vor Israels Staatsgründung eingewanderte Araber kehrten in ihre „Heimatländer“ zurück angesichts einer ungewissen Zukunft).
Insofern Quellen zitiert werden, geht es um Aussagen von Politikern oder Zeitungen ohne Namensnennung. Historiker sind nicht darunter. Die Quellen/Zitate datieren aus dem Jahr 1973 oder früher. Diese 2018 anlässlich des siebzigjährigen Bestehens des Staates Israel konzipierte Ausstellung, lässt die in Israel unter den sog. „neuen Historikern“ geführte Debatte, die in erster Linie das Thema „Vertreibung der Palästinenser“ zum Gegenstand hatte, völlig außer Acht.
Der aktuelle fachhistorische Streit kreist nicht um die Frage, ob die Vertreibung von ca. 750.000 Palästinensern durch die Israelis verursacht wurde. Vielmehr geht es um die Frage ob diese als eine Begleiterscheinung der militärischen Auseinandersetzungen kriegsbedingt, aber nicht planmäßig stattfand (so der israelische Historiker Benny Morris), ob es sich um wissentlich und willentlich ins Werk gesetzte Politik der israelischen Entscheidungsträger handelte (so der amerikanische Politikwissenschaftler Norman Finkelstein) und ob dabei offener Terror gegen die Zivilbevölkerung planmäßig zum Einsatz kam (so palästinensische Historiker w.z.B. Saleh Abdel Jawad).
Die Ausstellungsmacher treten mit einem wissenschaftlichen Anspruch auf. Dieser wird schon durch die Quellenauswahl konterkariert. Die Ausstellung reproduziert Geschichtsmythen, die von keinem ernstzunehmenden Fachhistoriker in und außerhalb Israels geteilt werden. Den breitesten Raum bei der Darstellung der Fluchtgründe nimmt Pkt.2 ein „Aufrufe zur Flucht durch arabische Führer“. Dazu sagte Benny Morris 2018 in einem YouTube-Interview (Min 36:10), auf den sich die Ausstellungsmacher als Mitgestalter sonst gerne berufen: „der einzige Ort, wo wir eindeutige Beweise haben“, dass es zu solchen Aufrufen kam, sei Haifa.
Bei der Leugnung der Nakba geht es nicht nur um das Verschweigen von Menschenrechtsverletzungen in einer ferneren Vergangenheit. Die Nakba war eine entscheidende historische Weichenstellung für die Geschichte Israel-Palästinas, die sich in den gegenwärtigen Debatten zur sog. Justizreform widerspiegelt. Dass Israel keine Verfassung hat mit einem darin verankerten Gleichheitsgrundsatz ist wesentlich auf die Nakba zurückzuführen. Man kann nicht 750.000 von 910.000 palästinensische „Staatsbürger“ vertreiben, nach der Vertreibung an der Rückkehr hindern, enteignen und gleichzeitig einen liberal-demokratischen Grundrechtskatalog einschließlich des Gleichheitsgrundsatzes im Rechtssystem einklagbar verankern, der den Betroffenen die Möglichkeit geboten hätte Rechtsmittel gegen das ihnen angetane Unrecht einzulegen.
Das israelische Staatsgründungsprojekt beinhaltete das Ziel einen Staat mit jüdischer Mehrheit zu schaffen, aus sehr nachvollziehbaren Gründen. Dies war aber schon im Ansatz unvereinbar mit einer demokratischen, die Gleichberechtigung der Palästinenser einschließenden, Staatsverfassung. Sich diesem Dilemma zu stellen ist eine Voraussetzung zum Verständnis des Nahostkonflikts.
Die Ausstellung verschließt den Zugang zu einem angemessenen historischen Verständnis und sollte deswegen keine Unterstützung durch Kirche und Staat erfahren.
Freundliche Grüße
Helmut Suttor
Titania-Gruppe Frankfurt