Brief an Dr. Grünberg Sigmund-Freud-Insitut in Sachen Veranstaltung mit Alex Feuerherd am 15.6. / Frankfurt


Sehr geehrter Herr Dr. Grünberg, 

ich möchte nochmal auf die Veranstaltung vom 15.6. eingehen.

Sie beklagten eingangs den durch unseren offenen Brief begangenen beispiellosen Regelbruch (in 33 Jahren beim Institut nie erlebt), weil diese nicht nur an Sie, sondern auch an die Mitarbeiter des SFI und Repräsentanten der Stadtpolitik ging.

Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie ein paar Tage Zeit über einen anderen Regelbruch nachzudenken, für den in unserem offenen Brief klare Belege mitgeteilt wurden:

  • dass in Frankfurt über einen Zeitraum von vier Jahren unter dem Vorwand der Bekämpfung des Antisemitismus das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verfassungswidrig eingeschränkt wurde,
  • dass der Anti-BDS-Beschluss mindestens vom Dezernenten Becker trotz und in Kenntnis seiner Verfassungswidrigkeit umgesetzt wurde,
  • dass im Magistrat, in dessen Auftrag Becker handelte, bisher niemand dafür eine politische Verantwortung übernahm,
  • dass die Dezernentin Eskandari-Grünberg nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) offen für eine Fortsetzung der verfassungswidrigen Praxis durch den Magistrat eintrat.

Angesichts dieses Vorlaufs hielten Sie es für angemessen, sich über unseren von Ihnen als solchen empfundenen Regelbruch zu beklagen, ohne auch nur einen Hauch Problembewusstsein für den anderen Regelbruch ganz anderer Dimension und Kategorie an den Tag zu legen. Dieses Missverhältnis in Ihrer Problemwahrnehmung belegt, wie richtig und wichtig es war, nicht nur an Sie zu schreiben, sondern auch an das SFI und die Stadtpolitik. Deswegen geht auch dieser Brief an die Mitarbeiter des SFI.

Die Veranstaltung mit Feuerherdt stand von Anfang an in einem kommunalpolitischen Kontext. Der Dezernentin und Ihnen (?) ging es darum, den seit 2017 andauernden verfassungswidrigen Kurs trotz eines rechtskräftigen höchstrichterlichen Urteils festzuhalten. Uns ging es mit unserem offenen Brief und meinen Beitrag auf der Veranstaltung darum zu verdeutlichen: Es gab in Frankfurt eine verfassungswidrige Einschränkung der Grundrechte über Jahre. Darüber war mindestens auch zu reden und nicht nur über das, was Feuerherdt zu BDS zu sagen hatte.

Wenn die Dezernentin als Mitveranstalterin dafür eintritt das Urteil des BVerwG zu umgehen, liegt es nahe, den Vortrag von Feuerherdt im Kontext dieser politischen Intention zu sehen. Deswegen habe ich für die Veranstaltung Fragen zum kommunalpolitischen Kontext vorbereitet (Diskussionsbeitrag zur Veranstaltung Alex Feuerherdt). Dazu war es erforderlich Informationen vorzutragen, die das Publikum mit Sicherheit nicht hatte. Dies haben Sie nicht zugelassen, obwohl der kommunalpolitische Kontext schon durch die Beteiligung des Dezernats und das Grußwort der Dezernentin zum Ausdruck kam. Insofern wäre es nur fair gewesen hierzu einer anderen Sicht Raum zu geben. Eine andere, Ihnen und der Dezernentin nicht genehme Darstellung der kommunalpolitischen Zusammenhänge wollten Sie nicht zulassen. Meinen Beitrag konnte ich nicht zu Ende führen. Nach der ersten Unterbrechung gab es zunächst Proteste aus dem Publikum und ich konnte fortfahren. Nach zwei, drei Sätzen wurde wieder unterbrochen.

Sie wollten die Diskussion leiten. Über die Rolle eines Herrn des Mikrofons sind Sie dabei leider nicht hinausgekommen. Ein Diskussionsleiter sollte auch Anwalt des fragenden Publikums sein, d.h. er sollte darauf achten, dass gestellte Fragen auch beantwortet werden. Das taten Sie nicht, auch wenn es um Fragen an die Dezernentin ging. So gelang die Übung flugs über Fragen hinwegzugehen, die wie ein weißer Elefant im Raume standen, beispielsweise die zu der Ankündigung, das BVerwG-Urteil zu umgehen: „Aufgabe des Magistrats wird es sein zu schauen, wie an dem richtigen Beschluss festgehalten werden kann“.

Ein verfassungswidriger Beschluss ist für die Dezernentin ein richtiger Beschluss. Wenn es Schule machen sollte, dass Kommunalpolitiker zur Umgehung rechtskräftiger, höchstrichterlicher Urteile aufrufen, dann landen wir bald in einer Bananenrepublik. Frau Eskandari-Grünberg ist seit Jahren Dezernentin. Dass Gewaltenteilung ein wesentliches Element unserer Demokratie ist, scheint ihr bisher entgangen zu sein.

Nach dem offenen Brief lag es nahe, dass auch der kommunalpolitische Kontext angesprochen wird und damit auch Ihre Rolle und die der Dezernentin. Es wäre deswegen ein Akt der Klugheit und Ausdruck professionellen Verhaltens gewesen, die Leitung der Diskussion einer anderen Person zu übertragen. Dieses angemessene Gespür für Rollenkonflikte ließen Sie vermissen. Sie entschieden sich vielmehr dafür, eine unbequeme Diskussion im Keim zu ersticken.

In unserem offenen Brief begründeten wir unsere Ablehnung Feuerherdts damit, dass dieser einer postfaktischen Debattenunkultur angehört, ebenso wie sein Ko-Autor Markl. Dies lässt sich auch an seinem Frankfurter Vortrag belegen, wie folgende Beispiele zeigen:

  • Apartheid: Herr Feuerherdt suggerierte, Apartheid werde allein von BDS behauptet, dies sei abwegig und antisemitisch. Völlig unterschlagen wurde hierbei, was wir in unserem offenen Brief schon erwähnten. Allein in den letzten drei Jahren gab es sechs Berichte von Menschenrechtsorganisationen die Israel Apartheid testieren. Außerdem: Zahlreiche Kirchen in USA und Englandverabschiedeten nach jahrelangen Diskussionen Beschlüsse desselben Inhalts. Weiterhin: Nach Umfragen in USA ist der Prozentsatz unter amerikanischen Juden, die Israel als Apartheidstaat einordnen steigend, er liegt bei 25 %,  bei den Jüngeren ist er noch höher.

Palästinensische und arabische Wissenschaftler sprachen schon lange vor BDS von Apartheid. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Sachverhalt so dar: Eine Erkenntnis, die unter arabisch-palästinensischen Wissenschaftlern schon seit Jahrzehnten vorlag, setzt sich langsam, aber sicher im Westen durch. Wer wie Feuerherdts kongenialer Freund Markl vor diesem Hintergrund behauptet, die Palästinenser litten vor allem unter ihrer eigenen Führung, begibt sich auf das Argumentationsniveau von Corona-Leugnern.

Ein angemessener Umgang angesichts einer triftigen Indizienlage für Apartheid sollte hingegen zwei Punkte umfassen. Erstens: Ein öffentlicher Diskurs über Apartheid auf sachlicher Grundlage, d.h. ausgehend von der Definition im Völkerrecht. Zweitens: Die Forderung an die Politik, diese Frage völkerrechtlich verbindlich zu klären.

Ein angemessener Umgang mit dem Thema ist von Herrn Feuerherdt nicht zu erwarten, er scheitert schon an einer angemessenen Darstellung desselben.

  • In Israel herrsche Gleichheit vor dem Gesetz:  In diesem Zusammenhang verwies Feuerherdt auf die Unabhängigkeitserklärung. 

Dort werden in der Tat universalistische Rechtsgrundsätze formuliert.

Der Staat Israel „wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben.“

Was Feuerherdt unterschlug: Diese Formulierungen waren einer außenpolitischen Notwendigkeit geschuldet und entsprachen nie einer Absicht etwa den Gleichheitsgrundsatz im israelischen Rechtssystem zu verankern. Die UN-Teilungsresolution von 1947 machte diese Formulierungen zur Voraussetzung der Anerkennung Israels (und Palästinas) als Staat. Die Erklärung hatte nie einen verfassungsrechtlichen Status und war somit nie als normative Grundlage für Grundrechte oder -freiheiten gedacht.

Moshe Smoira (Präsident des Obersten israelischen Gerichtshofs 1948-1954) brachte diesen Zusammenhang unzweideutig zum Ausdruck:

Der einzige Zweck der Unabhängigkeitserklärung war die Bestätigung der Grundlagen und die Errichtung des Staates zum Zwecke seiner völkerrechtlichen Anerkennung durch das Völkerrecht (…) Sie enthält kein Element des Verfassungsrechts (…), sie enthält kein verfassungsrechtliches Element, das die Gültigkeit verschiedener Verordnungen und Gesetze oder deren Aufhebung bestimmt“.[1]

Der historische Grund hierfür ist unmittelbar einsichtig. Eine demokratische, den Gleichheitsgrundsatz berücksichtigende Verfassung widersprach dem israelischen Staatsgründungsprojekt, insbesondere dem Ziel einer jüdischen Mehrheit. Man kann nicht 750.000 von 910.000 palästinensische „Staatsbürger“ vertreiben, sie nach der Vertreibung an der Rückkehr hindern, entschädigungslos enteignen und gleichzeitig einen liberal-demokratischen Grundrechtskatalog einschließlich des Gleichheitsgrundsatzes im Rechtssystem einklagbar verankern.

Dann hätten diese Menschen als gleichberechtigte Bürger Rechtsmittel einlegen können gegen das ihnen angetane Unrecht.

Entscheidend ist nicht, dass Israel keine Verfassung hat (das haben Demokratien wie Großbritannien und Neu Seeland auch nicht), entscheidend ist vielmehr, dass der Grundsatz der Gleichheit im Rechtssystem bis heute nicht verankert ist. Wenn Israel eine Demokratie ist, dann eine ohne verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz.

Was Feuerherdt betrifft, gibt es hier zwei Möglichkeiten: Entweder er ihm ist der nicht vorhandene verfassungsrechtliche Status der Gründungserklärung nicht bekannt, oder er führt sein Publikum hinters Licht.

  • BDS-Gründungserklärung, Punkt 1  / Beendigung der „Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“. Obwohl hier schon seit Jahren eindeutige Klarstellungen von BDS vorliegen, erging sich Feuerherdt in hypothetischen Erwägungen ob vielleicht nicht doch auch Israel in den Grenzen von 1967 durch BDS für die Palästinenser beansprucht werde.

Zwei dieser Klarstellungen zur Territorialfrage seien erwähnt:

Der BDS-Aufruf für Deutschland, spricht von einer „Beendigung der Besatzung und Kolonialisierung des 1967 besetzten arabischen Landes“. [1] In einem Buch aus dem Jahr 2011 (seit 2012 ins Deutsche übersetzt) stellt BDS-Sprecher Barghouti klar, worum es territorial gesehen geht: „Beendigung der seit 1967 andauernden militärischen Besetzung von Gaza, der Westbank (einschließlich Ost-Jerusalems) und der arabischen Territorien in Libanon und Syrien„.[2] 


[1] Deutschlandweiter BDS-Aufruf, 20. Juni 2015, http://bds-kampagne.de/aufruf/deutschlandweiter-bds-aufruf/ 

[2] Omar Barghouti, BDS: Boycott, Divestment, Sanctions: The Global Struggle for Palestinian Rights.” Haymarket Books 2011, p 49

Kennt Herr Feuerherdt diese Quellen nicht oder verfährt er wie beim Thema Apartheid: Zitiert wird was passt, ignoriert wird was nicht passt?

Sie beklagten in Ihren abschließenden Bemerkungen, dass es für Ihren Geschmack zu unsachlich (o.s.ä.) zugegangen sei. Eine gepflegte Diskussion nach akademischen Grundsätzen zu erwarten, bei einem Referenten, der im Propaganda-Modus von Corona-Leugnern unterwegs ist, erscheint ein bisschen naiv. Für Sie und die Dezernentin hat Feuerherdt einen guten Vortrag gehalten. Dass dies von hinreichender Urteilsfähigkeit unterlegt ist, wird man mit guten Gründen bezweifeln dürfen.

Wenn Sie nach Jahren verfassungswidriger Einschränkung der Meinungsfreiheit unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung Herrn Feuerherdt einladen, sollten Sie sich über eine unkonventionell harte Reaktion aus der Zivilgesellschaft Frankfurts nicht wundern.

Wir werden weiterhin unsere bescheidenen Möglichkeiten dafür einsetzen, dass der hier beschriebene Dissens in der Frankfurter Stadtgesellschaft ausgetragen wird. Wir halten es jedenfalls nicht für normal, dass angesichts eines vorsätzlich praktizierten Verfassungsbruchs über Jahre nicht nur zur Tagesordnung übergegangen wird, sondern die Fortsetzung dieses Rechtsbruchs offen angekündigt wird. Dafür steht leider die Dezernentin, Seit an Seit mit Uwe Becker.

Damit wird der Grundkonsens jeder Demokratie in Frage gestellt.

Es geht insoweit nicht um einen Dissens, der unter der Voraussetzung der Anerkennung unserer Verfassung als gemeinsame Basis zwischen streitenden Parteien ausgetragen wird. Daraus ergibt sich die Schärfe der Auseinandersetzung und nicht daraus, dass wir die Stadtpolitik und die Mitarbeiter des SFI über die hier in Rede stehenden Vorgänge informierten.

Das SFI sollte dafür stehen, die Traumata der Opfergruppen in Nahost und Deutschland etwa im Sinne der Überlegungen Charlotte Wiedemanns (Den Schmerz der Anderen begreifen) zu bearbeiten. Sie instrumentalisieren das SFI im Interesse durchsichtiger und billiger Propagandazwecke, sozusagen unter den Augen von Sigmund Freud, Margarethe und Alexander Mitscherlich.  

Anlass genug noch einmal gründlich nachzudenken.

Dieser Brief geht an Sie und das Direktorium und Mitarbeiter des SFI.

Freundliche Grüße

Helmut Suttor


[1] Yvonne Alexandra Schmidt, Foundations of civil and political rights in Israel and the occupied territories, 2001, S. 123

[2] Deutschlandweiter BDS-Aufruf, 20. Juni 2015, http://bds-kampagne.de/aufruf/deutschlandweiter-bds-aufruf/ 

[3] Omar Barghouti, BDS: Boycott, Divestment, Sanctions: The Global Struggle for Palestinian Rights.” Haymarket Books 2011, p 49


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