Beschwerde beim Presserat


Beschwerde beim Presserat

gegen die Berichterstattung der BILD-Zeitung zu Äußerungen

des Rüsselsheimer Juso-Vorsitzenden Mohamed Baaqoul

von

Helmut Suttor

Diese Beschwerde richtet sich gegen die Berichterstattung in der BILD-Zeitung über die Äußerungen des Rüsselsheimer Juso-Vorsitzenden Mohamed Baaqoul (MB), die dieser in einem privaten, nach außen abgeschlossenen Chat getätigt hat. Einer der Teilnehmer des Chats hat den Inhalt der Aussagen an die BILD-Zeitung weitergegeben. Diese zitierte aus diesem Protokoll selektiv und in sinnentstellender den Zitierten massiv verleumdender Weise.

  1. Die Artikel der BILD-Zeitung zu den Aussagen MBs

Es geht um folgende Berichte der BILD-Zeitung:

  • Die in BILD inkriminierten Aussagen MBs mit den zughörigen Kommentaren
  1. BILD: „Der Juso hetzt in einem Chat, der BILD vorliegt, gegen den Staat Israel.“
  2. MB: „Israel ist ein Apartheidstaat. Die Zionisten tragen den Apartheidstaat.“ BILD: Damit setzt er die einzige Demokratie im Nahen Osten mit einem Verbrecherstaat wie Südafrika in Zeiten der Rassentrennung gleich. Und: Weil Zionisten den Staat Israel gründeten, gilt das bei Judenhassern als Schimpfwort.
  1. MB äußerte im Chat-Dialog: „Juden sind meine Cousins im Glauben“. Auf die Nachfrage eines Chat-Teilnehmers („Und Juden in Israel“) erwiderte MB: „ …. wenn Menschen aktiv daran arbeiten, dass Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden, so sind sie für mich Verbrecher“.
  2. BILD: Schließlich antwortet er noch auf die Frage, ob er Israel wirklich für einen Apartheidstaat hält: MB „Das glaube nicht nur ich, sondern quasi alle Menschenrechtsorganisationen.“
  3. In den Überschriften von BILD werden die
  4. Aussagen MBs werden ohne Einschränkung als Tatsachenbehauptung präsentiert und inkriminiert als „Israel-Hetze“, „Hass-Chat“, mit „APARTHEIDSTAAT! VERBRECHER!“ wird insinuiert, M.B. habe Israel als Staat als Verbrecher dargestellt bzw. die politisch Verantwortlichen in Israel so tituliert. Im Text wird das offen ausgesprochen. Dort heisst es außerdem: „Der Juso hetzt in einem Chat (…) gegen den Staat Israel“.
  5. Daneben wird die Person MBs inkriminiert und diffamiert als „Israel-Hetzer“.
  • Analyse

Die BILD-Zeitung versucht die Aussagen MBs zu verkürzen oder durch eigene Interpretationen und Kommentare zu verzerren, um sie als antisemitisch oder judenfeindlich, als die Ausdrucksweise eines „Judenhassers“ darstellen zu können.

  • Die Aussagen MBs drücken in keinem Fall Judenhass i.S. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also Antisemitismus aus.

Insofern MB den israelischen Staat als „Apartheidstaat“ einordnet, bezieht er sich auf die Handlungen dieses Staates. Diese Kritik richtet sich nicht gegen die Juden im Allgemeinen sondern gegen die Regierungspraktiken des israelischen Staates. Diese Kritik gewinnt außerdem im Ausland zunehmend an Boden.  

Beim Thema Apartheid zeichnet sich eine Diskursverschiebung in den akademischen und kirchlichen Debatten außerhalb Deutschlands ab.

Das gilt vor allem für die USA. Das früher mit einem Tabu belegte Thema sei in jüngster Zeit von den Rändern akademischer Debatten im Zentrum der politischen Mainstream-Debatte in Amerika angelangt, so Dov Waxman, Prof. an der Universität von Kalifornien. [1] Jeff Wright, pensionierter Pastor einer protestantischen Kirche, nennt drei Gründe für die zunehmende Bereitschaft amerikanischer Kirchen, Israel mindestens im Hinblick auf die Herrschaftspraktiken in den besetzten Gebieten Apartheid zu testieren: Die „wachsenden Zahl von Menschenrechtsgruppen, die Berichte herausgeben, die Israels Herrschaft als Apartheid dokumentieren; die zunehmende Bereitschaft amerikanischer Juden, sich gegen Israels Behandlung der Palästinenser auszusprechen; und Appelle palästinensischer Christen.“ [2]

Seit Juni 2020 liegen insgesamt sechs Berichte renommierter regionaler oder internationaler Menschenrechtsorganisationen vor die den Tatbestand Apartheid erfüllt sehen, entweder für Israel-Palästina insgesamt (BTselem und Amnesty International) oder beschränkt auf die besetzten Gebiete (Human Rights Watch, Yesh Din, der UN-Menschenrechtsrat  und die IHRC Harvard Law School).

Zu den amerikanischen Kirchen, die in jüngster Zeit einschlägige Beschlüsse fassten, gehören:

  • die United Church of Christ (UCC / 800.000 Mitglieder / Mai 2021)[3] mit der Begründung Israel praktiziere Apartheid durch seine „Gesetze und Rechtsverfahren“. [4]
  • Christian Church (Disciples of Christ, USA und Canada, 380.000 Mitglieder / Februar 2022) mit der Begründung „Israels Politik und Praktiken, die Palästinenser – Christen und Muslime gleichermaßen – diskriminieren, entsprechen der internationalen rechtlichen Definition des Verbrechens der Apartheid“.
  • die Presbyterian Church (PCUSA / 1,3 Million Mitglieder / Juli 2022) mit der Begründung „Israels Gesetze, Politik und Praktiken stellen eine Apartheid gegen das palästinensische Volk dar„.  

Insofern MB von Verbrechen spricht, bezieht sich dies auf Personen und deren konkret benannten Handlungen (Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern) die nach internationalem, z.T. auch nach israelischem Recht als schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung einer Gesellschaft oder die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens, mithin als Verbrechen zu qualifizieren sind. Die von MB angesprochene „Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern“, in den besetzten Gebieten (Westbank und Ostjerusalem) ist rechtswidrig nach internationalem Recht. Sie ist es aber auch z.T. nach israelischem Recht bei den sog. Outposts / Außenposten. Die ehemalige Generalstaatsanwältin Israels Thalia Sasson sprach 2005 von einem institutionalisierten Rechtsbruch,[5] verantwortet vom Staat Israel und umgesetzt in arbeitsteiliger Kooperation verschiedener israelischer Ministerien. Diese Praktiken hielten an bis 2017. Als die Anordnung der Räumung eines dieser Außenposten durch den Obersten Gerichtshof Israels drohte, legalisierte die Israelische Regierung den institutionalisierten Rechtsbruch nachträglich durch ein Gesetz vom 7.2.2017.

Die zitierten Äußerungen MBs zu Apartheid und Verbrechen im Zusammenhang mit Vertreibungen aus Häusern geben zwar nicht die Meinung der Mehrheit wieder, werden aber von einer wachsenden Minderheit geteilt und stützen sich auf eine ausgewiesene und solide Faktenbasis.

Sie sind weit davon entfernt Hass oder Hetze gegen Israel oder Juden zu sein oder etwas mit Antisemitismus zu tun zu haben. 

  • Die BILD-Zeitung verzerrt die Aussagen MBs in dem sie den Zusammenhang unterschlägt, in dem sie getätigt wurden. Der zitierten Aussage MBs „wenn Menschen aktiv daran arbeiten, dass Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden, so sind sie für mich Verbrecher“ folgt im Chat folgender Nachsatz, den die BILD-Zeitung unterschlägt: „Du kannst diese Regel auf jede Nation, jede Religionsgemeinschaft übertragen.[6]  Aus dieser Aussage ergibt sich unzweideutig, MB verurteilt bestimmte Taten und nicht in pauschalisierender Weise eine bestimmte Personengruppe unabhängig von solchen Taten. Das ergibt sich nicht nur aus dem von BILD unterschlagenen Zusatz, sondern auch aus dem Kontext im Übrigen: MB antwortet auf die Frage, nach den „Juden in Israel“. Hier bringt MB zum Ausdruck, dass er nicht die Juden Israels als Gruppe meint, sondern Menschen aus dieser Personen-Gruppe, die sich in verbrecherischer Weise verhalten. Wenn keine doppelten Standards in Anwendung kommen sollen, ist dies ein völlig legitimes Verfahren.   
  • Auf der professionellen Ebene ist die Missachtung elementarster Sorgfaltspflichten anzumerken.
  1. Der verantwortliche BILD-Redakteur scheint nicht zu wissen, dass Apartheid ein Begriff des Völkerrechts ist und sich deswegen dieser Tatbestand nicht aus einem Vergleich mit den Verhältnissen in Südafrika vor 1994 erschließt. Das Römische Statut von 1998, in dem dies u.a. klargestellt wird, ist inzwischen 24 Jahre alt. Es wurde außerdem am 4.12.2000 durch ein eigenes Bundesgesetz für Deutschland übernommen. Dass Apartheid ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ darstellt {Art. 7 (1) j.} und dass der Tatbestand sich aus den Definitionen des Völkerrechts ergibt, ist somit deutsches Recht. Die Verkürzung auf die südafrikanische Erfahrung verdankt sich i.d.R der Spekulation auf ein höheres Skandalisierungspotential und der Möglichkeit, den Apartheidvorwurf bezogen auf Israel als unbegründet darzustellen, weil die Apartheid in Südafrika natürlich in verschiedenen Punkten von den im israelischen Herrschaftsbereich bestehenden Verhältnissen abweicht.
  • Die Aussage MBs „Israel ist ein Apartheidstaat. Die Zionisten tragen den Apartheidstaat“ kommentiert BILD: „Weil Zionisten den Staat Israel gründeten, gilt das bei Judenhassern als Schimpfwort“. Wenn „Zionisten den Apartheidstaat tragen“, dann besagt dies noch nicht einmal, dass dies für alle Zionisten zutrifft, geschweige denn für alle Juden. Wenn man bei BILD voraussetzen kann, in der Redaktion seien die elementarsten Regeln der Aussagenlogik geläufig, geht es hier um den durchsichtigen Versuch MB mutwillig als „Judenhasser“ hinzustellen, weil er eine wohl begründbare Meinung äußert, die nicht das geringste mit Judenhass zu tun hat.
  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mahnt besonders hohes Maß an Sorgfalt an, wenn es um den Antisemitismusvorwurf geht, weil dieser mit maximaler Prangerwirkung verbunden ist und deswegen massiv in Grundrechte eingreift. Der EGMR hat in einem Streitfall (der Publikation CICAD und einem Schweizer Universitätsprofessor) diese Sorgfaltspflicht betont. Die Publikation CICAD (Coordination intercommunautaire contre l’antisémitisme et la diffamation / Gemeindeübergreifende Koordination gegen Antisemitismus und Diffamierung ) hatte die israelkritischen Äußerungen eines Schweizer Universitätsprofessors wie folgt qualifiziert: „…. bestimmte seiner Äußerungen gleiten geradewegs ins Antisemitische ab“. Der Professor hatte u.a. geschrieben, Israel sei ein Staat, „der im Interesse der Sicherheit seiner Bürger vollständig die Moral der ›schmutzigen Hände‹ akzeptiert (insbesondere die Politik der Abriegelung des Territoriums, der  Zerstörung ziviler Gebäude und gezielter Tötungen von mutmaßlichen Terroristen).«

Obwohl der EGMR diese Aussage von CICAD als einen „nicht besonders harten“ Antisemitismusvorwurf einordnete, urteilte er zugunsten des Professors. Das Gericht sah dessen israelkritischen Äußerungen keine Verletzung des Art 10 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention zu Freiheit der Meinungsäußerung) und außerdem keine ausreichende Faktenbasis für den Antisemitismusvorwurf. Vielmehr konstatierte der EGMR einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Professors durch den Antisemitismus-Vorwurf von CICAD. Dies, angesichts der besonderen Pranger-Wirkung, die der Antisemitismusvorwurf entfalte. Der Vorwurf sei nicht hinreichend begründet. Niemand könne „von seiner Verantwortung für Anschuldigungen befreit werden, die jeder faktischen Basis entbehren“ so der EGMR.[7] 

Der seit 1998 amtierende EGMR ist eine gerichtliche Instanz, die Bürger anrufen können, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind. „Die vom Gerichtshof gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend und haben Regierungen dazu veranlasst ihre Gesetze und ihre Verwaltungspraxis in vielen Bereichen zu ändern.“ [8]

Was in Europa höchstrichterlich als Recht bzw. Unrecht eingeordnet wird, sollte der Mindeststandart auch unter pressethischen Gesichtspunkten sein, die für den Presserat maßgebend sind. Der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durch BILD ist um ein Deutliches gravierender als der „nicht besonders harte“ Eingriff von CICAD. Das gemeinsame mit dem Fall CICAD liegt darin, dass die Vorwürfe „jeder faktischen Basis entbehren“.

  • Die Äußerungen MBs stammen aus einem privaten Chat, in dem sich die Beteiligten im Vertrauen darauf äußerten, dass nichts nach außen gegeben wird. Die Botschaft, die von diesem Vertrauensbruch und der Art und Weise seiner publizistischen Verwertung durch die BILD-Zeitung ausgeht,  ist verheerend. Das gilt jetzt schon. Das gilt umso mehr, wenn sie keine Beanstandung erfahren sollte. Private Chats sind Räume zivilgesellschaftlicher Willens- und Meinungsbildung. Als solche können sie nur funktionieren, wenn sich die Beteiligten auf Vertraulichkeit verlassen können. Bei einem Thema, zu dem der gesamtgesellschaftliche Debattenraum ohnehin stark eingeschränkt ist, käme eine zusätzliche Einengung hinzu, wenn es presseethisch als statthaft befunden würde, diese Foren informeller, bürgerlicher Gespräche zu beeinträchtigen oder zu zerstören, weil nicht nur Vertraulichkeit nicht gewährleistet ist, sondern zusätzlich für Beteiligte jederzeit das Risiko besteht durch einen verantwortungslosen Journalismus an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden. Dies berührt einen zentralen Punkt „demokratischer Willensbildung des Volkes“, die sich „staatsfrei“ von „unten nach oben und nicht umgekehrt“ nach dem Willen des Grundgesetzes zu vollziehen hat, wie es in höchstrichterlichen Urteilen immer wieder gleichlautend formuliert wird, wenn das sog. Demokratieprinzip im Anschluss an Art. 20, Abs. 2 GG zu behandeln ist. Private Chaträume sind schützenswerte Freiräume „demokratischer Willensbildung des Volkes“.
  • Begründung der Verletzung des Pressekodex des Presserates [9]

ZIFFER 1 – WAHRHAFTIGKEIT UND ACHTUNG DER MENSCHENWÜRDE:

Unter dieser Rubrik des Pressekodex wird ausgeführt: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.“

  • verletzt den Grundsatz einer wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit. MB wird teils explizit, teils implizit als eine Person dargestellt der gegen Israel hetzt, Israel hasst, Schimpfworte benutzt, die von „Judenhassern“ als Schimpfwort benutzt wird. MB machte nichts anderes als eine Meinung zu äußern, die in Deutschland von einer kleineren, im Ausland von einer größeren Minderheit geteilt wird. Die BILD-Zeitung versucht diese Äußerung in einen Kontext gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, hier von Antisemitismus zu stellen. Obwohl MB klar zum Ausdruck bringt, dass er den Begriff „Verbrecher“ auf bestimmte Handlungen bezieht und nicht verallgemeinernd auf eine Gruppe. Wenn man einen Mindeststandard professioneller Qualifikation unterstellt, dürfte nahe liegen, dass hier auch subjektiv und nicht nur objektiv die Unwahrheit gesagt wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der Art und Weise wie Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden [vgl. Pkt (2)].
  • Die Berichterstattung der BILD-Zeitung verletzt auch die Menschenwürde. Hier wird eine Person auf offensichtlich wahrheitswidriger Grundlage mit – vor allem im deutschen Kontext –  maximal stigmatisierenden Begriffen an den öffentlichen Pranger gestellt. Nach Kriterien des EGMR ist beim Thema Antisemitismus ein besonders hohes Maß an Sorgfalt angebracht, eben wegen der Prangerwirkung des Antisemitismusvorwurfs und des damit einhergehenden Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte. Solche Stigmatisierungen wirken nachhaltig, auch wenn sie widerlegt werden. Im konkreten Fall geht es darum, dass der Vorwurf durch den BILD-Redakteur mutmaßlich erhoben wurde, obwohl er wusste oder ihm mindestens klar sein konnte, dass dafür jede Grundlage fehlt. Diese Methoden sind in der Tendenz auf die Zerstörung von Existenzen und Personen angelegt. Bei der Stasi nannte man das „Zersetzung feindlich-negativer Elemente“.  Nach Stasi-Richtlinie 1/76 geht es dabei um:  „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben“. Eine am demokratischen Rechtstaat des Grundgesetzes orientierte Presse-Ethik sollte Tendenzen ächten, die in diese Richtung weisen.   
  • Aus den hier genannten und im folgenden zu nennenden Gründen, ist eine massive Schädigung des „Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Medien“ insgesamt die Folge, wenn die hier beschriebenen Methoden der BILD-Zeitung unter presseethischen Gesichtspunkten nicht geächtet würden.

ZIFFER 2 – SORGFALT

Unter dieser Rubrik des Pressekodex wird ausgeführt: „Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.“

  • Bei dem BILD-Bericht geht es schon im Ansatz nicht um sorgfältige Recherche.
  • Es wird noch nicht einmal dasjenige berücksichtigt was per Recherche, in diesem Fall in einem Telefonat mit MB, ermittelt wurde bzw. was sich aus dem Chat ergibt. Der Grundsatz des Pressekodex unterstellt einen an Wahrheit und Information interessierten Journalisten. Von dieser Voraussetzung kann man aber nicht ausgehen, wenn Aussagen MBs unterschlagen werden, die klar belegen, dass er sich nicht i.S. gruppenbezogener Menschfeindlichkeit äußert.
  • Die BILD-Zeitung unterstellt implizit, es sei grundsätzlich antisemitisch Israel mit Apartheid in Verbindung zu bringen. Diese berücksichtigt nicht einmal das methodische Minimum, dass die IHRA-Arbeitsdefinition für die Identifizierung von Antisemitismus vorschreibt. Diese legt fest, eine potentielle oder vermutete antisemitische Aussage sei jeweils im „Gesamtzusammenhang“ zu interpretieren, bevor man Antisemitismus identifiziert.[10] Der BILD-Redakteur interpretiert nicht im Gesamtzusammenhang, sondern lässt diesen unter den Tisch fallen, wenn dieser stört.
  • So simpel ist selbst die IHRA-Definition nicht, die Verwendung des Begriffs Apartheid, bezogen auf Israel, als ausreichend dafür zu halten umstandslos auf Antisemitismus zu schließen. Selbst der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein hält es für vertretbar zu formulieren: „Israel befindet sich auf dem Weg in Apartheid-ähnliche Zustände“.[11] Wenn dem so ist, ist es nicht nur erlaubt, sondern geboten, die Frage Apartheid bezogen auf Israel öffentlich zu thematisieren. Apartheid ist schließlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist aber das was BILD verhindern will, in dem sie die öffentliche Äußerung einer an Felix Klein anschließenden, aber weitergehenden Meinung MBs, dass Israel nämlich „auf dem Weg zur Apartheid“ weiter fortgeschritten ist, als Klein dies vermutet, zu diskreditieren versucht. Schon die Befassung mit dieser Frage soll aus dem öffentlichen Raum gemoppt werden.     
  • Das Apartheid ein Begriff des Völkerrechts ist und sich nicht in erster Linie aus dem Vergleich mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime erschließ war für den BILD-Redakteur nur einen Mausklick entfernt. Wikipedia hat einen eigenen Artikel dazu verfasst [https://de.wikipedia.org/wiki/Apartheid_(Recht)] – vgl. Pkt. 3 a. Nicht einmal dieses Mindestmaß an Recherche, das vermutlich jeder Sekundarschüler für einen Schulaufsatz unternommen hätte, hielt der BILD-Redakteur für nötig.
  • Sorgfalt wurde nicht aus Unvermögen oder Schludrigkeit außeracht gelassen, sondern weil die Beachtung der Ziffer 2 Pressekodex dem Zweck im Wege stand, einen persönlichen Angriff auf einen Menschen zu fahren, der eine politisch missliebige Meinung geäußert hat. Davon ließ sich BILD nicht abhalten, auch wenn damit ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte MBs zwangsläufig inbegriffen war.

ZIFFER 8 – SCHUTZ DER PERSÖNLICHKEIT

Unter dieser Rubrik des Pressekodex wird ausgeführt: „Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.“

Im konkreten Fall ging es nicht darum, dass BILD in privaten Chatraum eindrang und den Inhalt der Kommunikation veröffentlichte, sondern ein Mitglied des Chats hat die Informationen an BILD weitergegeben. Deswegen geht es darum, ob BILD die so erlangten Informationen verwenden durfte, wie das geschehen ist. Aus meiner Sicht ist das schutzwürdige Vertrauen MBs verletzt und dessen informationelle Selbstbestimmung. Diese umfasst die Möglichkeit sich in einem privaten Rahmen eigener Wahl mit anderen privat auszutauschen. Wenn dieses Vertrauen durch ein Mitglied der Chatgruppe verletzt wird durch die Weitergabe des Inhalts privater Gespräche, darf derjenige, der diese Informationen erhält keinen Gebrauch in der Art machen, wie die BILD-Zeitung dies getan hat, genauso wenig wie man über einen gestohlenen Gegenstand verfügen kann, wie über einen rechtmäßig erworbenen. Ein öffentliches Informationsinteresse, das demgegenüber abzuwägen wäre, ist schon deswegen nicht gegeben, weil es nicht um Information ging. Es ging vielmehr darum eine Person zu diskreditieren, die eine missliebige politische Meinung äußerte. Diese Meinung und dieses Thema aus dem öffentlichen Diskursraum zu verbannen, stand für BILD im Vordergrund und kein öffentliches Informationsinteresse.

Es besteht ein öffentliches Interesse an der Erörterung der Frage, ob Israel für Apartheid verantwortlich ist oder nicht. Wenn, stimmt, was selbst der deutsche Antisemitismusbeauftragte Klein sagt, „Israel befindet sich auf dem Weg in Apartheid-ähnliche Zustände“ ist es nicht nur i.S. von Art. 1 GG, sondern auch im Hinblick auf den Umstand, dass die Bundesregierung dieses Thema klein zu halten versucht, obwohl sie sich in internationalen Verträgen verpflichtet hat Apartheid und andere Formen von Rassismus weltweit zu bekämpfen, geboten, dieses Thema öffentlich zu erörtern, ohne Angst. Das Bundesverfassungsgericht hat der Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine zentrale Rolle zugeschrieben. Bei Apartheid geht es um institutionalisierte Rassendiskriminierung. Sie kann nur bekämpft werden, wenn sie in den öffentlichen Diskurs aufgenommen wird. Das gilt auch dann, wenn die Grenze zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch nicht überschritten sondern erst berührt ist.


[1] Dov Wasman: Israel, Amnesty, and the Apartheid Accusation: A Wake-Up Call, https://pij.org/articles/2168/israel-amnesty-and-the-apartheid-accusation-a-wakeup-call

[2] Is Israel Practicing Apartheid? American Churches Join the Conversation. https://divinity.uchicago.edu/sightings/articles/israel-practicing-apartheid-american-churches-join-conversation

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/United_Church_of_Christ

[4] https://www.ucc.org/synod-is-asked-as-matter-of-faith-to-reject-oppression-of-palestinians/

[5] Summary of the Opinion Concerning Unauthorized Outposts, http://www.mideastweb.org/sassonreport.htm

[6] https://www.fr.de/rhein-main/kreis-gross-gerau/ruesselsheim-ort29367/ruesselsheim-antisemitismus-vorwuerfe-gegen-juso-chef-91715747.html

[7] Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache CICAD gg. die Schweiz, Urteil vom 7.6.2016, Bsw. 17676/09, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20160607_AUSL000_000BSW17676_0900000_000/JJT_20160607_AUSL000_000BSW17676_0900000_000.html “.”

[8] https://www.coe.int/de/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte

[9] https://www.presserat.de/pressekodex.html

[10] https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-antisemitism

[11] https://plus.tagesspiegel.de/politik/felix-klein-und-micha-brumlik-im-streitgesprach-wann-wird-aus-kritik-an-israel-antisemitismus-33390.html