4. BDS-Beschlüsse auf kommunaler Ebene. Die Provinzpossen in München und Frankfurt


3.1. Deutsche Nahostpolitik: Selektive Wahrnehmung im Zeichen strukturfunktionaler Latenz

3.1.1. Nakba und Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten: Schlüssel-Tabus „strukturfunktionaler Latenz“ deutscher Nahostpolitik

Fehlender Erkenntniswille kann ein Moment des Selbstschutzes beinhalten. Der bekannte Soziologe Niklas Luhmann sprach in diesem Zusammenhang von „Strukturschutz“ durch „strukturfunktionale Latenz“. Wissen und Erkenntnis ist danach einer selektiven Wahrnehmung unterworfen. Je nach dem was dem Erhalt der zu schützenden Struktur dient, wird gesichtet, was zu wissen bzw. nicht zu wissen, was zu erkennen oder zu übersehen ist.

Wenn Strukturen Latenzschutz benötigen, heißt dies dann nicht, dass Bewußtheit bzw. Kommunikation unmöglich wäre; sondern es heißt nur, daß Bewußtheit bzw. Kommunikation Strukturen zerstören bzw. erhebliche Umstrukturierungen auslösen würde, und daß diese Aussicht Latenz erhält, also Bewußtheit bzw. Kommunikation blockiert“. [1]

Politiker:innen und Amtsträger würden vermutlich ihre berufliche Existenz gefährden, wenn sie in Deutschland durch „Bewußtheit und Kommunikation“ an jenen Strukturen rüttelten, die seit Jahrzehnten durch die Aufrechterhaltung bestimmter Tabus wie in Stein gemeißelt erscheinen, wenn es um Israel und Antisemitismus geht. „Bewußtheit“ kann man mit der Bereitschaft übersetzen, Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die das Potential beinhalten, die überkommene Struktur zu zerstören. „Kommunikation“ bedeutet, die Zivilcourage, diese Fakten im öffentlichen Diskurs zu vertreten.


[1] Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 1984 S. 458