Leutheusser-Schnarrenberger: Windiger Liberalismus


Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,

mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass Sie hin und wieder doch noch ins Grundgesetz schauen und dabei sogar fündig werden: Ich meine Ihre Idee, das Recht auf Versammlungsfreiheit für Ausländer ohne deutsche Staatsangehörigkeit einzuschränken oder abzuschaffen.

Wie gut das in die politische Landschaft vor dem Hintergrund des aktuellen Gazakrieges passt, können Sie den beiden unten verlinkten Texten entnehmen, in denen davon die Rede ist, wie sich die muslimische Minderheit in diesem unseren Lande von der politischen Klasse rapide entfremdet. Diese Menschen bringen die Erläuterungen unserer Politiker nicht Einklang mit ihren Wahrnehmungen, vermittelt über You-Tube, Tiktok und Telefonaten mit Angehörigen vor Ort. Es ist ihnen schwer zu vermitteln, wie der Abwurf von 900-Kg-Bomben des Typs Joint Direct Attack Munitions mit einem Explosionsradius von 360 m (vgl. der SPIEGEL: Alptraum Gaza) in einem Flüchtlingslagereine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Völkerrecht entsprechende Form der Selbstverteidigung sein kann.

Haben Sie überlegt, wie Ihr Vorschlag in diesen Kreisen aufgenommen wird?

Aber zurück zu meiner Eingangsbemerkung und einem Glaubwürdigkeitsproblem etwas anderer Art. Ich habe Ihnen schon mehrfach die Frage gestellt, wie Sie es mit Ihrem Gewissen und Ihrem professionellen Selbstverständnis als ehemalige Justizministerin vereinbarten, über Jahre an einem BDS-Beschluss festzuhalten, der ausweislich eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts verfassungswidrig war. Diese Verfassungswidrigkeit war von Anfang an erkennbar. Ihr Parteifreund Dr. Schulz, rechtspolitischer Sprecher der FDP im Frankfurter Stadtparlament, hat das auch erkannt und öffentlich vertreten. Es gab insoweit kein juristisches Erkenntnisproblem. Die Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit ist seit Jahrzehnten geklärt.

Mir scheint, Sie hätten Veranlassung, darzulegen, ob Sie jederzeit auf dem Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung stehen. Es dürfte Ihnen kaum möglich sein, diesen Nachweis zu erbringen. Die Sachlage dazu ist ziemlich eindeutig.

Auch im Sinne der Integration der muslimischen Minderheit, für die es allerhand staatliche Programme gibt, um sie für die Werte unserer Verfassung zu gewinnen, wäre es von Vorteil, wenn man mit guten Gründen sagen könnte, wenigstens staatliche Amtsträger treten für die Verfassung ein und verteidigen sie offensiv.

Von Ihnen kann man das leider nicht sagen. Von Ihnen war kein Ton zu den verfassungswidrigen Anti-BDS-Beschlüssen in den Jahren von 2017 bis 2022 zu vernehmen, auch kein Ton der Erklärung nach dem höchstrichterlichen Urteil.

Für Sie scheint Verfassungstreue eine Frage der politischen Opportunität zu sein. Wenn es in die politische Konjunktur passt, dann kommen Sie mit einem Vorschlag um die Ecke, der die
Grundrechte der Schwächsten in unserer Gesellschaft einschränkt. Wenn Zivilcourage gefordert wäre und die Verfassung gegen eine gesellschaftliche und politische Mehrheitsmeinung verteidigt werden müsste, muss man Sie hinter Büschen suchen.  

Frei nach Ernst Bloch: Ihr Liberalismus hängt vom Wind ab. So der Philosoph über einen Ihrer inzwischen verstorbenen Parteikollegen – seinerzeit auch liberales Aushängeschild der FDP.

Freundliche Grüße

Helmut Suttor, Frankfurt 13.11.2023

https://www.telepolis.de/features/Gaza-TikTok-und-der-Vietnam-Moment-9353671.html?seite=2

Gaza, TikTok und der Vietnam-Moment / Globale Brille ersetzt deutschen Tunnelblick

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/hamas-muslime-palaestinenser-deutschland-trauer-e928047/?reduced=true

„Diese Debatte bricht uns alle“

Von Dunja Ramadan und Sonja Zekri


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