Der kommunale BDS-Beschluss in Frankfurt: Chronik eines Verfassungsbruchs


Helmut Suttor

(ausführlicher: hier)

In Frankfurt wurde der Anti-BDS-Beschluss am 28.9.2017 von der Stadtverordnetenversammlung (StVV) gefasst, verbunden mit einem an den zuständigen Dezernenten Uwe Becker gerichteten Auftrag (FR 29.9.2017):

Der Magistrat soll prüfen, ob die Stadt der Israel-Boykott-Bewegung BDS Räume verweigern darf und ob das vor einem Gericht Bestand haben würde.

Dies, obwohl Uwe Becker zur gleichen Zeit bekundete, die Beschlussvorlage sei „vom Rechtsamt der Stadt abgeklärt worden“ und deshalb „rechtlich und handwerklich in Ordnung“ eine Behauptung die er nie konkretisierte, für die er nie einen Beleg vorlegte.

Uwe Becker hat diesen Auftrag nie erfüllt. Mit Ausnahme der FDP, die ab Dezember 2019 Anfragen an den Magistrat formulierte, hat sich in der StVV und im Magistrat niemand für die Frage interessiert, ob der kommunale Anti-BDS-Beschluss rechtskonform ist, ob Becker dem ihm erteilten Auftrag entsprach, dessen Rechtmäßigkeit vor Umsetzung zu prüfen. Nach dem Rechtsstaatsprinzips ist die Staatsgewalt an Recht und Gesetz gebunden, Verwaltungshandeln ist vorab daraufhin zu überprüfen.

Die erste parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion (am 2.12.2019 / Rechtliche Umsetzung des BDS-Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung) bestand aus acht Fragen, die Fragen 3-6 bezogen sich auf grundrechtliche Themen und damals schon ergangene Gerichtsurteile mit BDS-Bezug. Die Antwort des Magistrats  (vom 4.5.2020) ist in allen die Grundrechte betreffenden Fragen juristisch völlig substanzlos. 

Die alle vier Fragen zusammenfassende Antwort lautet:

Die Raumvergabe bei städtischen Räumen (…) muss immer unter Beachtung des geltenden Rechtes und der Einbeziehung der aktuellen Rechtsprechung erfolgen. Insofern findet auch die Anwendung des BDS-Beschlusses Rahmen gültigen Rechts statt. Der Magistrat muss Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes immer beachten und diese in der Verwaltungspraxis berücksichtigen bzw. umsetzen. Die Kommentierung einzelner Gerichtsentscheidungen ist nicht zielführend, da diese keine Frankfurter Einzelfälle betreffen.“

In den Fragen 3-6 wird ausnahmslos direkt oder mittelbar (durch den Verweis auf Gerichtsentscheidungen) auf den Widerspruch des BDS-Beschlusses zu „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes“ verwiesen.

Ende 2020 lag dann auch ein Frankfurter Einzelfall vor. Die Durchführung einer Veranstaltung von BDS-Unterstützern in den Räumen der städtischen Saalbau-GmbH musste gerichtlich durchgesetzt werden. Im Zuge dieses Verfahrens klassifizierte der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 04.12.2020 (Az. 8 B 3012/20) den Frankfurter Anti-BDS-Beschluss als unzulässigen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit, als auch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

In einer Frage an den Magistrat (21.1.2021) sich darauf beziehend, wollte der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Dr. Schulz wissen, ob dieser es weiterhin für angemessen halte, „in einer verfassungswidrigen Weise zu agieren, und wie soll die Handhabung in der Zukunft erfolgen?“. Die Antwort des Magistrats unterzeichnet von Uwe Becker: „Der Magistrat agiert selbstverständlich auf Grundlage und unter Beachtung von Recht und Gesetz, in der Vergangenheit, heute und auch in Zukunft. Dies gilt natürlich auch für den hier hinterfragten Vorgang“ (Frage vom 21.01.2021, F 3091).

Uwe Becker lügt seinem Kollegen Dr. Schulz zynisch ins Gesicht – im Stile von Kellyanne Conway, Trump-Beraterin und Erfinderin „alternativer Fakten“. Er tritt außerdem das parlamentarische Fragerecht mit Füßen.

Viel spricht dafür, dass Becker in dieser Angelegenheit von Anfang an gelogen und getäuscht hat.

Dagegen, dass vom Frankfurter Rechtsamt ein positives Testat vorlag i.S.v. „vom Rechtsamt der Stadt abgeklärt “ (…) „rechtlich und handwerklich in Ordnung“, wie Becker behauptete um die Zustimmung der StVV zum Ant-BDS-Beschluss zu erwirken sprechen verschiedene Gründe. Erstens, diese Behauptung unterstellt, die Volljuristen des Rechtsamts testierten rechtliche Unbedenklichkeit ohne jede Einschränkung angesichts einer dazu in Widerspruch stehenden, seit Jahrzehnten geklärten Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit. Zweitens: Die Antworten Beckers/des Magistrats auf die parlamentarischen Anfragen der FDP lassen in ihrer Substanzlosigkeit nicht auch nur auf einen Hauch irgendeiner juristische Expertise im Hintergrund schließen. Drittens: Beckers Auskunft auf die Frage vom 21.1.2021 belegt explizit und unzweideutig seine Bereitschaft sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen.  

Nach dem Urteil des BVerwG führte Uwe Becker die Riege derjenigen an, die mehr oder weniger offen dafür eintraten, dieses zu umgehen. Becker erhob dies zur Gewissenspflicht mit dem an das BVerwG gerichteten Vorwurf es habe „grünes Licht für die Verbreitung von israelbezogenem Judenhass in Deutschlands Städten gegeben“ (3.2.2022 in der Jüdischen Allgemeine / JA). Die Frankfurter Dezernentin Eskandari-Grünberg formulierte unumwunden: „Es wird Aufgabe des Magistrates sein, zu schauen, wie an dem richtigen Beschluss festgehalten werden kann“ (9.6.2022 JA).  Joseph Schuster, Vorsitzender des Zentralrats: „BDS-Ideologen die staatlich finanzierten Räume zu nehmen, in denen sie sich aktuell bewegen, ist kein Ausdruck von Zensur. Das ist notwendig, wenn man die Antisemitismus-Bekämpfung ernst nimmt“ (21.7.2022 JA). Felix Klein forderte im September 2022 die „Umsetzung des Bundestagsbeschlusses“ von 2019 zur antiisraelischen Boykottkampagne: „Mit allen politischen und gesellschaftlichen Mitteln müssen wir gegen die BDS-Bewegung vorgehen.“ (2.9.2022 DIE ZEIT)

Die Reihenfolge der Rechtsbrüche Beckers: Täuschung der StVV, um sich deren Zustimmung zu erschleichen, Missachtung des Rechtsstaatsgebots, also des Prinzips Verwaltungshandeln vorab auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Danach 2017-2021: Vorsätzlicher Verfassungsbruch über Jahre, d.h. Einschränkung der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte trotz Kenntnis der Verfassungswidrigkeit des Anti-BDS-Beschluss in Frankfurt. 


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